05.03.2019 | LOGFILE Leitartikel 08/2019

Annex 1 – Sterile und aseptische Herstellung vor neuen Herausforderungen

Annex 1 – Sterile und aseptische Herstellung vor neuen Herausforderungen

7 Min. Lesezeit | von Dr. Sabine Paris

 

Auf den GMP-BERATER Tagen im Oktober 2018 fand der GMP-DIALOG zum Thema „Annex 1 – Sterile und aseptische Herstellung vor neuen Herausforderungen“ statt.

Dabei wurden die Fragen rund um das Thema von Teilnehmern gestellt und von den Experten GMP-Inspektor Dr. Rainer Gnibl und Fritz Röder, Senior Manager Validation, Qualification & Engineering bei der Merck KGaA im Rahmen einer regen Diskussion beantwortet.

Der neue Annex 1 soll im Frühjahr 2019 veröffentlicht werden. Welche Änderungen werden sicher kommen, wo gibt es noch Diskussionsbedarf? Wo sind Ihre Unklarheiten?

Was ist neu im Entwurf des Annex 1?

Der Entwurf des Annex 1 des EU-GMP-Leitfadens stellt die „Sterilwelt“ nicht auf den Kopf. Aber er wartet mit einigen Neuerungen bzw. Präzisierungen auf, die in der technischen

Umsetzung aufwändig sein können.

In vielen Punkten ist der neue Annex detaillierter als die jetzt gültige Version. Die Abschnitte zu Sterilisation, Sterilfiltration, „Form Fill Seal“ und „Blow Fill Seal“ sowie zur Lyophilisation sind sehr ausführlich und geben konkrete Handlungsanweisungen. Neu eingefügt wurden unter anderem Abschnitte zu „Finishing“, „Closed Systems“ und „Single Use Systems“.

Insgesamt ist das Dokument relativ schwer lesbar, da einzelne Themen an verschiedenen Stellen aufgegriffen werden, so z. B. das Monitoring. Auch die Ausführungen zu „Sterilisation“ sollten in Gänze gelesen werden. Einzelne Passagen allein helfen nicht weiter, dann fehlen wichtige Informationen.

Neu ist eine explizite Forderung nach einer „Contamination Control Strategy“. Die Kontrollstrategie sollte mittels Qualitäts-Risikomanagement (QRM) Kontrollmaßnahmen (technische und organisatorische) definieren. Der Annex listet die einzelnen Elemente auf, die hierbei mindestens zu dokumentieren sind. Die Elemente sind an sich nichts Neues. Jeder, der steril oder aseptisch herstellt, hat bereits jetzt z. B. entsprechende Räume und Ausrüstung, geschultes Personal und eine Prozessvalidierung. Neu ist die ganzheitliche Betrachtung aller Prozess- und Umgebungsfaktoren und die Zusammenführung der zugehörigen Daten in einem Dokument (s. u.).

Der Entwurf stellt sehr gut die Unterschiede zwischen Klassifizierung, Qualifizierung und Monitoring von Räumen heraus. Das sind Punkte, die bislang oft unklar waren und zu Diskussionen führten.

Für die Requalifizierung werden erstmalig konkrete Zeitintervalle vorgegeben. A/B-Bereiche müssen zukünftig spätestens alle 6 Monate requalifiziert werden, C/D-Bereiche spätestens alle 12 Monate.

Die Forderung nach QRM zieht sich durch den gesamten Anhang. Kritische Aspekte, die in die Risikobetrachtung einbezogen werden sollten, sind in ABC-Aufzählungen enthalten. So wird eine Struktur vorgegeben, die die Risikobetrachtung erleichtert.

Was ist der Unterschied zwischen Raum-Klassifizierung und -Qualifizierung?

Der Entwurf des Annex 1 definiert in 5.23 die Klassifizierung wie folgt:

Die Klassifizierung ist ein Verfahren zur Beurteilung des Luftreinheitsgrades anhand einer Spezifikation für einen Reinraum oder ein Reinraumgerät durch Messung der Partikelkonzentration in der Luft. Die Klassifizierung ist Teil der Qualifizierung eines Reinraums.

Die Qualifizierung beinhaltet also die Klassifizierung des Raumes, geht selbst allerdings noch darüber hinaus. Unter anderem werden für die Qualifizierung auch die Beschaffenheit der Wände, die Beleuchtung und die Lüftung betrachtet. Es ist aber sicherlich nicht sinnvoll, diese Aspekte im Rahmen der Requalifizierung halbjährlich zu prüfen.

Was wird für die Requalifizierung gefordert?

Die Aufrechterhaltung des qualifizierten Status der Reinräume muss zukünftig in regelmäßigen Intervallen (s. o.) oder nach Änderungen der Ausrüstung nachgewiesen werden. Partikel und Mikrobiologie sollten in jedem Fall gemessen/getestet werden. Nicht gefordert ist, dass sämtliche Filtertests oder Smoke Studies wiederholt werden müssen. Vielmehr muss risikobasiert festgelegt werden, welche Tests im Einzelnen durchgeführt werden sollten, um die Angemessenheit der Räumlichkeiten nachzuweisen.

Müssen zukünftig HEPA-Filter auch in Reinräumen der Klasse D eingebaut sein?

Der Entwurf des neuen Annex 1 fordert, dass in allen Reinräumen HEPA- oder ULPA-Filter eingebaut werden müssen. Das schließt auch die Räume der Klasse D ein.

Hersteller, die bislang in Räumen der Klasse D keine HEPA- oder ULPA-Filter hatten, werden nachrüsten müssen.

Was genau verbirgt sich hinter der „Contamination Control Strategy“?

Erwartet wird zukünftig, dass ein ins QM-System implementiertes Dokument verfasst wird, das die einzelnen Bausteine mit Relevanz für die Sterilisationssicherheit zusammenführt.

Es soll eine risikobasierte Strategie erstellt werden. Dazu ist es sinnvoll, eine Gap-Analyse durchzuführen, die verschiedenste Elemente des Pharmazeutischen Qualitätssicherungssystems und technische Elemente zusammenführt. Die Bewertung soll zur Implementierung von Maßnahmen führen, die identifizierte Lücken schließen können.

In dem Dokument sollte der Hersteller versuchen, Verknüpfungen und Referenzen einzubauen, um nicht alle Qualifizierungsdokumente neu zu schreiben.

Die Contamination Control Strategy muss regelmäßig überprüft und angepasst werden.

Was gibt es Neues zu den Themen Personalhygiene, Desinfektion und Schleusen?

In der Reinraumklasse D werden angemessen desinfizierte Schuhe bzw. Überschuhe zu tragen sein. In Klasse C sind angemessen desinfizierte oder sterilisierte Schuhe bzw. Überschuhe gefordert. Im A/B-Bereich werden zukünftig eine Augenabdeckung zusammen mit Mundschutz zu tragen sein, also eine komplette Gesichtsabdeckung.

Das Adjektiv „angemessen“ bedeutet, dass der Hersteller selbst Festlegungen treffen muss, z. B. anhand von Monitoringdaten. Auch kann aus der Formulierung nicht geschlossen werden, dass die Schuhe bei jedem Raus- und Reingehen neu desinfiziert werden müssen.

Neu ist die Forderung nach Desinfektion der Abflüsse. Wie das genaue Prozedere aussieht, muss jeder Hersteller selbst definieren. Eine Festlegung könnte z. B. sein, dass in der Regel nur der Deckel des Abflusses gereinigt und desinfiziert wird und der Abfluss in regelmäßigen Abständen im Rahmen der Requalifizierung komplett geöffnet wird.

Desinfektionsmittel sollen innerhalb ihrer Haltbarkeitsfrist nachweislich wirksam sein. Bewertet werden sollen die kritischen Aspekte Kontaktzeit, Art der Anwendung und Oberfläche, auf der das Desinfektionsmittel verwendet wird. Bei der Forderung nach dem Einsatz mehrerer Desinfektionsmittel wird klargestellt, dass in jedem Fall auch ein sporozides Mittel zu verwenden ist.

Normalerweise sind separate Schleusen für Personal und Material vorzusehen („typically airlocks used for personnel movement are separate to those used for material movement“). Als grundsätzlich wünschenswert („generally desirable“) werden darüber hinaus separate Schleusen für das Betreten und das Verlassen der Reinräume empfohlen. Beide Formulierungen (kein „should“!) lassen allerdings Spielraum für abweichende Konzepte.

Durch Schleusen, die in A/B-Bereiche führen, dürfen nur Materialien und Ausrüstung eingebracht werden, die auf der „qualification list“ stehen. Diese Forderung vergrößert die Dokumentation und bringt das Einschleusen in ein systematisches Prozedere. Festzulegen ist dann auch, wie Materialien eingeschleust werden können, die nicht auf der Liste stehen.

Mikrobielles Monitoring: Was hat sich hier geändert?

In der Tabelle für die zulässigen Grenzwerte ist die Fußnote entfallen, die besagte, dass Mittelwerte berechnet werden können. Bislang konnte z. B. von drei Tests im A-Bereich
einer >1 KBE/m3 sein, wenn im Mittel das Ergebnis kleiner als der Grenzwert von 1 war. Zukünftig ist jede Testung von ≥ 1 eine Abweichung.

Wie ist die neue Forderung nach PUPSIT (pre-use, post-sterilization integrity test) zu bewerten?

Der Entwurf des Annex 1 fordert vor Verwendung des Sterilfilters einen zusätzlichen Integritätstest nach der Sterilisation des Filters (PUPSIT). Diese neue Anforderung stieß auf deutliche Kritik von Seiten der Industrie. PUPSIT selbst erhöhe das Risiko für die Integrität und den Prozess der aseptischen Linie dadurch, dass in die Strecke neue aseptische Verbindungen eingebaut werden müssen. Die PDA schlägt z. B. vor, anstelle von PUPSIT eine Qualifizierung des Filtereinbaus und der Filtersterilisation durchzuführen, die eine gut dokumentierte Risikobewertung einschließt.

Neu eingeführt wurden die Begriffe „serial filtration“, „filter train“ und „redundant sterilizing filter“. Klargestellt werden sollte im Dokument noch, ob für alle Filter des „filter trains“ ebenfalls PUPSIT gefordert ist (was in der Praxis nahezu unmöglich sein würde) und wie ein „zusätzlicher“ („redundant“) Filter zu definieren ist. Hinterfragt werden sollte auch die tatsächliche Notwendigkeit eines zusätzlichen Filters. Ist mein Prozess dann doch nicht so sicher?

Muss zukünftig ein M-Deskriptor (wie in der EN ISO 14644 erwähnt) für die Messung von ≥ 5 µm Partikeln eingesetzt werden?

Der neue Annex 1 wird für die Klassifizierung der Räume nicht mehr die Messung der ≥ 5 µm Partikel fordern. Es sollen nur noch die Partikel ≥ 0,5 µm gemessen werden. Das ist parallel zu der gültigen EN ISO 14644-1 von 2015. Jedoch für das Monitoring wird weiterhin eine

Messung auch der 5 µm-Partikel gefordert, um frühzeitig Abweichungen zu erkennen.

Ein M-Deskriptor kann für die die Messung von ≥ 5 µm Partikeln eingesetzt werden, ist aber kein Muss.

Wird es eine Übergangsfrist für das Inkrafttreten des neuen Annex 1 geben?

Eine Übergangsfrist wie in einem Gesetz oder einer Richtlinie ist für einen Anhang des EU-GMP-Leitfadens nicht üblich. Ein Inkrafttreten 6 Monate nach Veröffentlichung wird erwartet. In der Praxis wird es de facto eine längere Übergangsfrist geben, bis tatsächlich alle neuen Anforderungen implementiert und von den Behörden abgefragt werden. In jedem Fall ist es ratsam, mit der Umsetzung möglichst zeitnah nach Bekanntgabe der finalen Anforderungen zu beginnen. Bei Inspektionen sollte auf die bereits erfolgten Aktivitäten hingewiesen werden.

Fazit:

  • Der Entwurf des Annex 1 des EU-GMP-Leitfadens stellt die „Sterilwelt“ nicht auf den Kopf. Einige Neuerungen werden in der technischen Umsetzung jedoch aufwändig sein.
  • Die Forderung nach QRM zieht sich durch das gesamte Dokument.
  • Die Unterschiede zwischen Klassifizierung, Qualifizierung und Monitoring werden gut herausgearbeitet.
  • Für die Requalifizierung werden erstmalig konkrete Zeitintervalle vorgegeben.
  • Insgesamt steigt der Dokumentationsaufwand. Neu wird z. B. eine „Contamination Control Strategy“ gefordert.
 
Sabine Paris

Autorin

Dr. Sabine Paris
Senior-GMP-Expertin / Chefredakteurin GMP Compliance Adviser
E-Mail: sabine.paris@gmp-verlag.de

 
Annex 1: Was ist neu? – Ein Vergleich

Annex 1: Was ist neu? – Ein Vergleich


Vergleich EU GMP-Leitfaden Annex 1 Sterile und aseptische Herstellung – Version 2008 und Entwurf 2017, Fritz Röder, Maas & Peither AG – GMP-Verlag, 1. Auflage 2018

Der neue Entwurf des Annex 1 "Sterile und aseptische Herstellung" des EU-GMP-Leitfadens beschäftigt viele Verantwortliche in der Pharmaindustrie.
Stellen Sie sich auch die Fragen:

  • Was ändert sich?
  • Bin ich darauf vorbereitet?
  • Was muss ich nun tun?

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