02.04.2019 | LOGFILE Leitartikel 12/2019

Zusammenfassung des GMP-DIALOGs der GMP-BERATER Tage 2018

Serialisierung und der Kampf gegen Arzneimittelfälschungen

Serialisierung und der Kampf gegen Arzneimittelfälschungen

7 Min. Lesezeit | von Dr. Doris Borchert

 

Am 9. Februar 2019 war es soweit: Seit diesem Zeitpunkt müssen alle Verpackungen von Humanarzneimitteln sogenannte Sicherheitsmerkmale tragen. Dazu gehören sowohl ein Öffnungsschutz, der eine Manipulation der Verpackung erkennen lässt, als auch die sogenannte Serialisierungsnummer.

Diese zufällig vergebene und einmalige Nummer wird vom Arzneimittelhersteller in eine Datenbank hochgeladen und vom Apotheker wieder ausgebucht. So soll das Eindringen gefälschter Arzneimittel in die Lieferkette verhindert werden.

Auf den GMP-BERATER-Tagen im Oktober 2018 fand der GMP-DIALOG zum Thema „Serialisierung und der Kampf gegen Arzneimittelfälschungen“ statt. Dabei wurden die Fragen rund um das Thema von Teilnehmern gestellt und von GMP-Inspektor Dr. Franz Schönfeld und Rainer Röcker, Vertriebsleiter Deutschland Süd bei pester pac automation, im Rahmen einer regen Diskussion beantwortet.

Wie weit sind wir mit der Umsetzung und was passiert, wenn ich zu spät bin?

Die Serialisierung stellt eine Kennzeichnungsvorschrift nach dem Arzneimittelgesetz dar. Wird diese Vorschrift nicht eingehalten, stellt dies formal eine Abweichung dar, die zunächst zu einer Anhörung bei der zuständigen Behörde führt. Bei dieser Anhörung hat der Pharmazeutische Unternehmer die Möglichkeit, die Ursachen und Hintergründe darzulegen.

Je nach Lage des Falles können Auflagen erteilt, Bußgelder verhängt oder im schlimmsten Fall sogar der Vertrieb untersagt werden. Dabei ist aber Augenmaß angesagt. Am Anfang wird es sicherlich noch Probleme geben, und man wird im Einzelfall entscheiden müssen, wie die Verzögerung geahndet wird. So ist es ein Unterschied, ob der Unternehmer auf technische Probleme gestoßen ist, die noch nicht gelöst werden konnten, oder ob er schlichtweg viel zu spät damit begonnen hat, die erforderlichen Maßnahmen für die Serialisierung einzuleiten. Zu viel Nachsicht von Seiten der Behörde wäre in diesem Fall unfair gegenüber denjenigen, die rechtzeitig mit den Vorbereitungen begonnen haben und zum 9. Februar startklar sind.

Der Behörde liegen bis jetzt keine Meldungen von Unternehmen vor, dass die Frist nicht eingehalten werden kann.

Sind die Apotheken startklar? Ist eine „Kundenqualifizierung“ der Apotheken erforderlich?

Rund 20 000 Apotheken stehen am Ende der Kette, wenn es darum geht, die Serialisierungsnummer auszubuchen und dabei zu prüfen, ob sie der vom Hersteller eingegebenen Nummer entspricht. Welche Voraussetzungen müssen dafür in den Apotheken geschaffen werden?

Die Anbindung der Apotheken an das System ist ein zweistufiger Prozess: Zunächst muss eine Registrierung und eine Legitimation zur Prüfung erfolgen. Als zweiten Schritt kann daraufhin die Apotheke das elektronische Benutzerzertifikat beantragen. Dieses kann jedoch erst genutzt werden, wenn die Software dazu vorhanden ist. Die Softwareumstellung wird in den nächsten Monaten erfolgen.

Die Apothekenanbindung ist technisch nicht so anspruchsvoll wie die erforderlichen Umstellungen beim pharmazeutischen Unternehmer. Meist ist keine neue Hardware erforderlich, immer jedoch ein Software-Update. Das Einlesen der Serialisierungsnummer bzw. des 2D-Matrixcodes erfolgt mit den bereits vorhandenen, beziehungsweise neu zu beschaffenden Barcodescannern. Daher ist anzunehmen, dass die Apotheken rechtzeitig startklar sein werden.

Ob dies aber tatsächlich so reibungslos verläuft, wurde von vielen Teilnehmern skeptisch hinterfragt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage gestellt, ob der pharmazeutische Unternehmer durch eine „Kundenqualifizierung“ sicherstellen muss, dass die abgebenden Apotheken die Serialisierung „ordentlich“ durchführen.

Die Antwort auf diese Frage ist ein klares "Nein": Der pharmazeutische Unternehmer (PU) ist nach AMWHV und AMHandelsV dazu verpflichtet, seine Arzneimittel nur an Berechtigte auszuliefern. Dort endet seine Verantwortung. Jede Apotheke ist dann selbst dafür verantwortlich, die Bestimmungen des AMG und der Apothekenbetriebsordnung einzuhalten - in diesem Fall die ordnungsgemäße Ausbuchung.

Verunsicherung bestand auch im Hinblick auf die Situation, dass Produkte in der Apotheke nicht ausgebucht werden und dadurch „Karteileichen“ im System entstehen. Solche nicht ausgebuchten Produkte könnten nämlich andererseits ein Hinweis auf Arzneimitteldiebstahl sein – ein Delikt, dass z. B. entlang der A2 im Raum Hannover erschreckende Ausmaße angenommen hat. Zwar sieht die Delegierte Verordnung vor, dass gestohlene, individuelle Erkennungsmerkmale im System deaktiviert werden sollen. Das Problem besteht aber darin, dass dies dem PU nicht immer bekannt ist. So wird z. B. ein Großhändler kaum auf die Idee kommen, die Ware, die er für eine öffentliche Apotheke in eine Wanne packt, vorsorglich zu erfassen, damit er im Falle eines Diebstahls Rückmeldung geben kann.

Ist das System validiert?

Große Skepsis herrschte bei den Teilnehmern auch im Hinblick darauf, ob das System validiert ist. Schließlich wird eine enorme Menge an Datentransfers stattfinden: Zunächst gehen die Daten vom Hersteller zum Zentralserver der Pharmaindustrie, danach werden sie zum Zentralserver der Apotheken weitergeleitet. Auf diesen greifen dann die Apotheken bei der Überprüfung und Ausbuchung zu. Dies hat wiederum einen Datenabgleich zwischen Apothekenserver und Industrieserver zur Folge.

Weder der pharmazeutische Unternehmer, der die Daten hoch lädt, noch der Apotheker, der die Daten am Ende der Kette ausbucht, kann das System validieren. Die Verantwortung dafür liegt beim Softwareanbieter. Dieser kann natürlich nicht alle Schnittstellen „vor Ort“ validieren. Es wird also darauf hinauslaufen, dass der Softwareanbieter die Validierung für die Software und den dazugehörigen Scanner durchführt. Damit ist dann aber auch nur dieses eine System validiert. Eine flächendeckende Validierung der Apothekensysteme ist derzeit nicht vorgesehen.

Auch für securPharm gilt natürlich der Annex 11, und securPharm wurde auch entsprechend auditiert. Für den Apothekenserver und den Industrieserver gibt es zwei Betreibergesellschaften. Deren Aufgabe ist es, die entsprechende Software zu validieren.

Geht man also davon aus, dass der Bereich securPharm ein validiertes System darstellt, dann muss der pharmazeutische Hersteller lediglich die Schnittstelle zur securPharm qualifizieren.

Wie steht es um die Datensicherheit und Datenintegrität?
Gibt es Backup-Systeme?

Die Sicherheit der Daten auf dem Zentralserver wird von securPharm garantiert. Erzeugt werden die Daten jedoch beim pharmazeutischen Hersteller auf Maschinenebene (Level 1 und 2), weiter geleitet ins ERP-System und von dort zum Zentralserver der Industrie geschickt. Insoweit hat es der Hersteller selbst in der Hand, die Datensicherheit und Datenintegrität auf seiner Seite zu gewährleisten.

securPharm garantiert 100%ige Sicherheit und Verfügbarkeit der Daten – das geht nicht ohne Backup-Systeme. Allerdings konnte nicht erläutert werden, wie securPharm dies im Einzelnen realisiert.

Was passiert, wenn die Serialisierungsnummer beim Ausbuchen nicht entspricht?

Wenn eine technische Fehlermeldung auftritt, muss zunächst einmal securPharm entschlüsseln, woran das liegt. War es ein Handhabungsfehler durch die Apotheke, z. B. zweimaliges Abscannen? Lag ein technischer Fehler vor? Hat zum Beispiel der Pharmazeut die Chargen nicht hochgeladen? Sofern ein Handhabungsfehler in der Apotheke ausgeschlossen werden kann, kontaktiert securPharm den pharmazeutischen Unternehmer.

securPharm ist seinerseits auf die Rückmeldung des pharmazeutischen Unternehmers angewiesen, ob auf dessen Seite ein Fehler passiert ist. Sofern der pharmazeutische Unternehmer dann meldet: „Nein, bei uns war alles in Ordnung“, stuft securPharm den Vorgang als Fälschungsverdachtsfall ein.

Die Meldung muss im nächsten Schritt an den Zulassungsinhaber gemeldet werden und dieser informiert seine Aufsichtsbehörde und die Bundesoberbehörde über den Fälschungsverdacht. Die Apotheke muss natürlich auch ihrer Meldeverpflichtung nachkommen.

Durch diese Vorgehensweise soll ausgeschlossen werden, dass ein technischer Fehler vorliegt, der zu einem Fehlalarm führt.

Müssen auch klinische Prüfpräparate serialisiert werden?

Die Serialisierung wurde durch die sogenannte Fälschungsrichtlinie 2011/62 eingeführt. Diese führte zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EU für Humanarzneimittel.

Deswegen bezieht sich die Serialisierung nur auf Humanarzneimittel und nicht auf Tierarzneimittel. Prüfarzneimittel unterliegen der neuen Clinical Trial Regulation und daher auch nicht der Serialisierung.

Eine Serialisierung klinischer Prüfpräparate wird wohl solange nicht kommen, bis Handlungsbedarf für den Gesetzgeber entsteht. Sprich, wenn es Fälschungsverdachtsfälle bei klinischen Prüfpräparaten geben sollte. Im Moment geht man davon aus, dass dieses Risiko vernachlässigbar ist, weil die Mengen wesentlich geringer sind.

Natürlich gibt es auch in der Frühphase von klinischen Studien teure Medikamente, aber Fälschungen tauchten bislang eher nach der Zulassung auf. Auch der Gesetzgeber agiert risikobasiert und überlegt, wo das Risiko am höchsten ist und wie es effektiv minimiert werden kann. Die Serialisierung ist jetzt ein erster Schritt, um die Fälschungen einzudämmen.

Wie soll die Serialisierung bei Bündelpackungen erfolgen?

Werden Einzelpackungen zu einer Bündelpackung zusammengefasst, müssen die Serialisierungsnummern der Einzelpackungen zunächst ausgelesen und zurückgebucht werden. Danach bekommt die Bündelpackung eine neue PZN-Nummer und eine eigene Serialisierungsnummer.

Fazit:

  • Rund 3 Monate vor dem Beginn der Serialisierungspflicht gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Termin nicht eingehalten werden kann.
  • Dennoch herrscht bei vielen Beteiligten eine ausgeprägte Skepsis, ob denn wirklich ab dem 9.2.2019 alles reibungslos ablaufen wird. Dies liegt zum einen daran, dass die Serialisierung ein gigantisches Validierungsprojekt mit vielen verschiedenen Beteiligten ist. Zum anderen herrscht wenig Transparenz, was die Abläufe außerhalb des eigenen Einflussbereichs angeht. So scheint das Projekt „Serialisierung“ für viele immer noch eine Black Box zu sein – von der alle hoffen, dass sie im Ernstfall funktioniert.
  • Bei der Umsetzung innerhalb der Pharmaindustrie haben viele mit Kapazitätsproblemen gekämpft, die für Verzögerungen gesorgt haben. Andere sind auf technische Schwierigkeiten gestoßen, insbesondere bei kleinen Verpackungseinheiten. Auf viele organisatorische Fragen hat die Behörde (noch) keine Antwort.
  • Es bleibt also spannend, wie sich die Funktionalität des von securPharm entwickelten Systems in der Praxis erweisen wird. Genauso spannend ist aber auch die Frage, ob Arzneimittelfälschungen durch die Serialisierung in Zukunft wirklich unterbunden werden können.
 
Doris Borchert

Autorin

Dr. Doris Borchert
Senior-GMP-Expertin und Chefredakteurin bei GMP-Verlag Peither AG
E-Mail: doris.borchert@gmp-verlag.de

 
 

Kommentare


Hallo Doris, Guter Beitrag. Freue mich auf die GMB Beratertage. Grüsse Rainer
Rainer Röcker 09.09.2019

> Zögern Sie nicht, wir freuen uns auf Ihr Feedback!