25.06.2019 | LOGFILE Leitartikel 24/2019

Zusammenfassung des GMP-DIALOGs der GMP-BERATER Tage 2018

Ist die Prozessvalidierung nach dem Aide Mémoire der ZLG klarer geworden?

Ist die Prozessvalidierung nach dem Aide Mémoire der ZLG klarer geworden?

8 Min. Lesezeit | von Thomas Peither

 

Das neue Aide Mémoire der ZLG „Inspektion der Validierung von Herstellprozessen (Prozessvalidierung,  07122901)“ beschreibt sehr anschaulich Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Prozessvalidierung.

Diese werden auch bei Inspektionen und Audits Berücksichtigung finden. Noch ist vieles aber in den Betrieben nicht etabliert. Wie gehen die Betriebe damit um? Was ist zu tun, wenn in der Inspektion nach OPV gefragt wird? Die Zukunft ist da - wie leben wir damit?

Ein GMP-Dialog der GMP-BERATER Tage 2018 beleuchtete das neue Aide Mémoire. Dabei wurden die Fragen rund um das Thema von Teilnehmern gestellt und von der GMP-Inspektorin Dr. Petra Rempe und Prof. Dr. Markus Veit im Rahmen einer regen Diskussion beantwortet.


Ongoing Process Verification (OPV) mit Hilfe einer Tabellenkalkulation

„Genügt es, die OPV anhand einer Tabelle durchzuführen?“, so lautete die erste Frage in diesem GMP-DIALOG.

Für die Antwort musste ein wenig ausgeholt werden: Häufig werden der Product Quality Review (PQR) und die Ongoing Process Verfication (OPV) im gleichen Kontext genannt. Die OPV ist eine Echtzeitbetrachtung. Das heißt, in dem Moment, in dem ein neuer Datenpunkt dazukommt, müssen Sie im Prinzip Ihre OPV neu bewerten. Der PQR wird jedoch in großen Abständen bewertet. Das heißt, es sind zwei unterschiedliche Themen und Prozesse.

OPV bedeutet, Regelkarten führen. Man kann die Datenpunkte in Tabellenkalkulationen wie z. B. MS Excel sammeln. Die Datenbewertung hingegen ist ein Vorgang, mit dem Trends, Ausreißer und Ergebnisse außerhalb der Erwartung identifiziert werden. Aktuell kommen "Quality by Design" (QbD)-Ansätze nur in Ausnahmefällen und dann auch häufig nur in Insellösungen zur Anwendung. Deshalb ist der OPV so wichtig: Wir müssen damit beginnen, in der kommerziellen Fertigung konfirmative, also bestätigende Daten zu etablieren. Mit dem traditionellen Entwicklungsansatz können wir so prüfen, ob die Untersuchungsergebnisse aus der pharmazeutischen Entwicklung tatsächlich in der kommerziellen Herstellung abgebildet sind. Regelkarten können dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Dazu müssen sie statistisch und mit Sachverstand in Echtzeit bewertet werden. In eine solche Bewertung fließen numerische Messergebnisse ein und Korrelationen werden untersucht, wie z. B. die Härte einer Tablette, die Einfluss auf den Zerfall und die Wirkstoff-Freisetzung hat.

Für die OPV müssen aber auch prozess-spezifische Parameter erfasst werden. Solche Parameter werden heute oft noch gar nicht erfasst, schon gar nicht in einem PQR.

Ein Teilnehmer beschrieb seine Erfahrung sehr konkret: „Ich kenne im Moment niemanden, der diesen Ansatz in Echtzeit umsetzt.“

Oft fehlt die Festlegung des Prozess-Design-Space und das Prozessverständnis beim traditionellen Ansatz ist limitiert. Daher müssen in der kommerziellen Fertigung die Verbindungen zwischen den Qualitätsattributen und den Prozessparametern hergestellt werden. Ein vertieftes Verständnis würde nicht nur feststellen, welche Härte vorliegt, sondern welche Parameter die Härte in welchem Maß beeinflussen. Was davon kann ich im Rahmen des Prozesses beeinflussen, was davon hängt von meinen Ausgangsmaterialien ab? Oder anders gesagt: In welchem Korridor bewegt sich mein Prozess?

Zusammenfassend: Die Teilnehmer diskutierten viele Interpretationen und aktuelle Vorgehensweisen bei verschiedenen Herstellern wie Original-, Generika- oder Lohnherstellern. Dabei kristallisierte sich heraus, dass man selten umfassend Prozessparameter im Sinne einer OPV auswertet. Dies kann natürlich zu Inkonsistenzen, Abweichungen und Zusatzuntersuchungen führen und die Effizienz der Produktionsprozesse in Frage stellen. Da vermutet wird, dass solche Prozessunzulänglichkeiten meist ohne Einfluss auf die Produktqualität bleiben, werden diese lieber nicht erfasst und ausgewertet.


Braucht man für die OPV Einblick in Zulassungsdossiers?

Häufig erleben Lohnhersteller, dass wichtige Informationen aus den Zulassungsdossiers den Auftragsherstellern verweigert werden. Manchmal weiß man auch nicht, ob überhaupt tiefergehende Informationen vorliegen. Aber gemäß EU-GMP-Leitfaden muss der Auftragnehmer die Informationen vom Auftraggeber erhalten, die für eine sachgerechte Produktion notwendig ist.

Die Antwort war eindeutig: Ja. Ohne Einblick in das Modul 3, also die Kapitel P2 Pharmazeutische Entwicklung und P3 Herstellung kann man heute keine verlässliche Produktion aufbauen. Man kann ja gar nicht zulassungskonform produzieren, wenn man die Dossierinhalte nicht kennt. Und diese Forderung wiederum steht im AiM: „Die Überprüfung der zulassungskonformen Umsetzung eines ‚Process Validation Scheme‘ obliegt in jedem Fall der GMP-Inspektorin/dem GMP-Inspektor.“ Die Vorgehensweise, die notwendigen Informationen sollten auch im Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer beschrieben sein.


Prozessvalidierung bzw. Chargenfestlegung bei kontinuierlichen Herstellungsprozessen

Wie eine Charge in einem kontinuierlichen Herstellungsprozess festgelegt wird, sollte mit der zuständigen Überwachungsbehörde festgelegt werden. Das Konzept muss am Ende ja auch von allen beteiligten Parteien mitgetragen werden. Auch die Sachkundige Person (QP) muss mit eingebunden werden.

Kontinuierliche Prozesse werden in der Pharmaindustrie bis jetzt kaum genutzt. Die notwendigen Grundlagen dafür sind in den aktuellen Regularien abgebildet.

Im Rahmen von technischen Machbarkeitsstudien entwickelt sich meist automatisch eine „natürliche“ Definition für eine Chargenabgrenzung. Dadurch, dass in diesem Rahmen Prozessrisikobetrachtungen durchgeführt werden, ergeben sich häufig auch Punkte für entsprechende Ableitungen, z. B. bei einem bestimmten Prozessschritt oder aufgrund eines Materialwechsels.


Ist Quality by Design (QbD) heute schon Praxis oder nur Theorie?

Die lebendige Diskussion zeigte, dass es Ansätze von QbD insbesondere in den USA gibt. Die FDA hat bereits viele Zulassungseinreichungen mit QbD-Ansätzen. In Deutschland ist dies bislang offensichtlich noch nicht der Fall.

Damit QbD umgesetzt werden kann, müsste an den verschiedenen Stellen der Informationskette ‑ Entwicklung, Labor, Zulassungsbehörde, Herstellung und Überwachung ‑ das Know-How im Bereich Statistik stark ausgebaut werden. Dazu benötigt man auch interdisziplinäre Teams, die fachübergreifend arbeiten. Häufig fehlen dazu die Ressourcen sowohl auf der Industrie- als auch der Behördenseite. Die FDA hat solche fachübergreifenden Teams mit Statistik-Hintergrund. In Europa und insbesondere in Deutschland haben wir das noch nicht.


Patientenindividuelle Medikationen

Fragen zur patientenindividuellen Arzneimittelherstellung sind im AiM nicht beschrieben. In diesem Fall gibt dieses Dokument keine weiterführenden Hilfen.


Risikoanalysen und -beurteilungen

Es steht im AiM Kapitel 2.5.8 b): QRM-Prinzip „auf wissenschaftlicher Erkenntnis und Erfahrung mit dem Prozess beruhend“ - „Die Sicherstellung dieses Prinzips bedingt [...], dass die Risikobeurteilung durch ein geeignetes Risikomanagementteam durchgeführt wird.“

Risikobetrachtungen und -beurteilungen sind daher im Team durchzuführen.

Diese Forderung wird in vielen Betrieben heute übersehen.

Die meisten Risikobeurteilungen sind heute eine Leistung Einzelner, die das gesamte Ausmaß an Risiken nicht überblicken können. Hier ist noch viel Aufklärung notwendig, bis Risikobeurteilungen zu einem integrierten Managementansatz werden. Entscheidungen sollten auf Basis tragfähiger Risikobeurteilungen getroffen werden. Im Ergebnis müssen neben kritischen auch unkritische Risiken beschrieben werden. Mit entsprechenden Maßnahmen könnte der Aufwand reduziert werden – zumindest für unkritische Risiken. Leider wird das heute in der Praxis noch viel zu wenig getan.

Es gibt einen großen Widerstand in der Industrie im Anschluss an eine Prozessvalidierung aus den gewonnenen Erkenntnissen Herstellungsanweisungen oder Kontrollstrategien weiter zu entwickeln und zu verbessern. Nicht selten aus der fälschlichen Annahme heraus, dass der Prozess dann revalidierungspflichtig wird. Es muss das Ziel sein, gewonnene Erkenntnisse fortlaufend für Verbesserungsprozesse zu verwenden. Alles andere geht an der Intention des AiM vorbei. Ein Dialog insbesondere mit der Zulassungsbehörde darf hier nicht vermieden werden.


Was muss der Logistiker oder Umverpacker beachten?

In diesem Bereich sind zunächst die regelmäßig durchgeführten Prozesse zu identifizieren. Diese müssen einer Prozessvalidierung unterzogen werden, wie z. B. das
Aufbringen von Verfallsdaten oder Chargenbezeichnungen.

Jeder ist verpflichtet, bei sich diese Prozesse zu identifizieren und angemessen zu validieren. Man kann davon ausgehen, dass nicht für jedes Produkt A, B, C usw.
jeweils eine eigene Prozessvalidierung durchzuführen ist. Man muss das Prozessuale daran erkennen und diesen Prozess einmal korrekt validieren.

In der OPV müssen dann die Messwerte mit den Ergebnissen der erstmaligen Prozessvalidierung verglichen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen weiterverfolgt werden.

Alle Beteiligten in der Herstellungskette müssen berücksichtigt werden. Da darf kein Prozess verloren gehen oder unberücksichtigt bleiben. 

Was muss bei historischen Prozessvalidierungen beachtet werden?

Es gibt viele Prozesse, bei denen vor vielen Jahren eine retrospektive Prozessvalidierung durchgeführt und diese im Anschluss über Jahre oder Jahrzehnte mit
Revalidierungen weitergeführt wurde.

Solche Prozesse sollten im Zuge der OPV-Umsetzung neu bewertet werden. So lässt sich eine verbesserte und validere Datengrundlage etablieren. Zudem kann das
gesammelte Wissen in die weiteren Betrachtungen einfließen. Meist ist die Datengrundlage von solchen Prozessen eingeschränkt. Das Ziel sollte sein, die Datengrundlage zu verbessern und nutzbar zu machen. Dieses Vorgehen erfordert Personal- und Zeitaufwand, der in der Vergangenheit oft vermieden wurde. In Zukunft werden solche Prozesse in Inspektionen noch genauer betrachtet werden. Geht man den Ansatz einer neuen Prozessvalidierung, sollte dies risikobasiert erfolgen.


Fazit:

  • Die Ongoing Process Verification (OPV) ist eine kontinuierliche Aufgabe und nicht mit dem Product Quality Review (PQR) vergleichbar und darf diesen nicht ersetzen.
  • Als Hersteller sollte man Einblick in die Zulassungsdossiers erhalten, zumindest in Modul 3 Kapitel P2 und P3.
  • Quality by Design (QbD) findet derzeit nur in Ausnahmefällen Anwendung.
  • Den Auswirkungen von Risikobeurteilungen wird in vielen Betrieben noch immer zu wenig Beachtung geschenkt. Kontrollierte Risiken können mit geringerem Aufwand belohnt werden.
  • Die OPV wird viele Prozessvalidierungen grundlegend beeinflussen. Ggf. müssen z. B. „historische“ Prozessvalidierungen neu aufgesetzt werden.
 
Thomas Peither

Autor

Thomas Peither
Vorstand & Business Development / GMP-Verlag Peither AG
E-Mail: thomas.peither@gmp-verlag.de

 
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