Die Forderung der Gesetzgebung an die pharmazeutische Industrie nach einem integrierten Risikoansatz (z. B. nach ICH Q9) stellt diese im Hinblick auf Aufwand und Kosten vor große Herausforderungen.
Oft wird hier der FMEA (Failure Mode and Effects Analysis)-Ansatz zur Identifizierung potentieller Schwachstellen und zur Reduzierung möglicher Fehler gewählt, die jedoch zahlreiche Nachteile mit sich zieht:
- Aufwendige Ursachenanalyse möglicher Fehler
- Meist großes Expertenteam notwendig
- Kostspielige Brainstormings in Fachgruppen zur Identifizierung von Risiken
- Falsche oder verzerrte Ergebnisse als Outcome durch Über- oder Unterpräsenz eines Bereiches
- Überbewertung von seltenen Sonderfällen (z. B. Radioaktive Verseuchung durch Atomunfälle (Fukushima))
- Kurze Haltbarkeit aufgrund sich ständig optimierender und ändernder Prozesse
Die FMEA nach Spengler und Juhnke bietet hierbei eine Alternative zu klassischen FMEAs:
- Fokussierung auf Analyse von Fehlern, ohne dass die Ursachen bekannt sein müssen
- Nur die Ursachen nicht akzeptabler, real vorliegender Risiken werden analysiert
- Nur kleines Team notwendig: Einsparung und weniger Ressourcen
- Selbstlernendes System durch ständige Aktualisierung aus dem QA-System und durch Analyse tatsächlicher Daten
- Verwendung üblicher Tabellenkalkulationssysteme möglich
Der modulare Ansatz setzt sich aus 8 klar definierten Schritten zusammen:
- Im ersten Schritt werden die Grundvoraussetzungen überprüft, wie beispielsweise das Vorhandensein mindestens eines Prototyps des Produktes und mindestens die Definition des Prozesses.
- Als erstes Dokument wird in einem zweiten Schritt eine Liste aus Prozess Hazards, d. h. aus dokumentierten Produktfehlern, die durch den Prozess verursacht und den Patienten gefährden können, erarbeitet. Quellen hierfür können z. B. Fehlerbildkataloge und Abweichungen sein. Für jeden Hazard wird vom Risikomanagement ein Severity Rank von 1 – 10 festgelegt, d. h. in welcher Weise der Herstellungsprozess den Patienten gefährdet (Bewertung des Schadensausmaßes). Zudem wird die Auftretenswahrscheinlichkeit (Occurence, 1 – 10) für jeden Hazard festgelegt. Für die Einschätzung beider Einflussgrößen kann sich an der DIN EN ISO 13485 orientiert werden und soll, wenn möglich, aus Ist-Daten ermittelt werden, z. B. aus der Analogie zu ähnlichen Produkten und Anlagen, sowie aus den Ergebnissen produktinterner Kontrollen und der Anzahl aufgetretener Abweichungen.
- Als zweites Dokument wird eine Prozessschrittliste benötigt, d. h. eine Auflistung des Gesamtprozesses in die entsprechenden Teilschritte aus Sicht des Produktes.
- Aus beiden Dokumenten wird in einem 4. Schritt durch Kombination jedes Prozessschrittes mit jedem Prozess Hazard eine systematische Kreuzmatrix erstellt.
- Dabei auftretende unsinnige Kombinationen können in einer Vorbewertung im 5. Schritt mit entsprechenden Begründungen herausgefiltert werden. Im Rahmen dieser Vorbewertung wird zudem die Entdeckungswahrscheinlichkeit (Detectability) des Prozess Hazards am entsprechenden Prozessschritt eingeschätzt. Hierbei kann sich ebenfalls an der DIN EN ISO 13485 orientiert werden, sowie an automatischen und manuellen Kontrollschritten zur Fehlererkennung. Zum Abschluss der Vorbewertung wird die Risikoprioritätszahl (RPZ) aus dem Produkt aus Severity, Auftretenswahrscheinlichkeit und Detectability für jede Hazard-Prozessschritt-Kombination berechnet.
- In der finalen Hauptbewertung werden innerhalb eines kleinen Expertenteams 3 Bereiche für die RPZs festgelegt: Ein grüner Bereich, für den keine Maßnahmen notwendig sind, ein gelber Bereich, für den mögliche Maßnahmen im Expertenteam diskutiert werden müssen, um das Risiko zu reduzieren und ein roter Bereich, für den risikominimierenden Maßnahmen notwendig sind.
- Sind nach der Hauptbewertung risikominimierende Maßnahmen notwendig, müssen diese von kompetenter Stelle in einem 7. Schritt festgelegt und durchgeführt werden. Dies kann beispielsweise eine Änderung des Prozessdesigns oder eine Überprüfung durch weitere Validierungen sein. Anschließend findet eine erneute Beurteilung der Risiken statt.
- Da es sich bei dieser FMEA-Variante um ein lebendiges, selbstlernendes System handelt, sind im 8. Schritt regelmäßige Überprüfungsrhythmen notwendig. Dabei wird beispielsweise die Hazardliste auf Aktualität überprüft. Die Annahmen, insbesondere die unterstellte Ereignishäufigkeit, sollen durch reale Daten (z. B. Annual Reports) verifiziert werden.
Auf diese Weise erhält man eine selbstlernende FMEA, die sich auf Fehler-Risiko-Analyse fokussiert und die Fehler klassischer FMEAs umgeht. Ein Beispiel mit 3 Hazard-Prozessschritt-Kombination für einen Kapselbefüllungsprozess kann in Abbildung 1 eingesehen werden. Ausführliche Details zu der alternativen Methode lesen Sie in der Veröffentlichung von Spengler und Juhnke (1).

Abbildung 1 Beispiel FMEA nach Spengler und Juhnke
Literatur
1. Jan-Peter Spengler, Hanno Juhnke: Prozess FMEA, Pharm. Ind. 77, Nr. 6, 839 – 843 (2015)
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