29.10.2019 | LOGFILE Leitartikel 40/2019

Die Alternative zur klassischen FMEA: FMEA nach Spengler und Juhnke

In 8 Schritten zur selbstlernenden FMEA

In 8 Schritten zur selbstlernenden FMEA

6 Min. Lesezeit | von Dr. Felix Tobias Kern

Die Forderung der Gesetzgebung an die pharmazeutische Industrie nach einem integrierten Risikoansatz (z. B. nach ICH Q9) stellt diese im Hinblick auf Aufwand und Kosten vor große Herausforderungen.

Oft wird hier der FMEA (Failure Mode and Effects Analysis)-Ansatz zur Identifizierung potentieller Schwachstellen und zur Reduzierung möglicher Fehler gewählt, die jedoch zahlreiche Nachteile mit sich zieht:

  • Aufwendige Ursachenanalyse möglicher Fehler
  • Meist großes Expertenteam notwendig
  • Kostspielige Brainstormings in Fachgruppen zur Identifizierung von Risiken
  • Falsche oder verzerrte Ergebnisse als Outcome durch Über- oder Unterpräsenz eines Bereiches
  • Überbewertung von seltenen Sonderfällen (z. B. Radioaktive Verseuchung durch Atomunfälle (Fukushima))
  • Kurze Haltbarkeit aufgrund sich ständig optimierender und ändernder Prozesse

Die FMEA nach Spengler und Juhnke bietet hierbei eine Alternative zu klassischen FMEAs:

  • Fokussierung auf Analyse von Fehlern, ohne dass die Ursachen bekannt sein müssen
  • Nur die Ursachen nicht akzeptabler, real vorliegender Risiken werden analysiert
  • Nur kleines Team notwendig: Einsparung und weniger Ressourcen
  • Selbstlernendes System durch ständige Aktualisierung aus dem QA-System und durch Analyse tatsächlicher Daten
  • Verwendung üblicher Tabellenkalkulationssysteme möglich

Der modulare Ansatz setzt sich aus 8 klar definierten Schritten zusammen:

  1. Im ersten Schritt werden die Grundvoraussetzungen überprüft, wie beispielsweise das Vorhandensein mindestens eines Prototyps des Produktes und mindestens die Definition des Prozesses.
  2. Als erstes Dokument wird in einem zweiten Schritt eine Liste aus Prozess Hazards, d. h. aus dokumentierten Produktfehlern, die durch den Prozess verursacht und den Patienten gefährden können, erarbeitet. Quellen hierfür können z. B. Fehlerbildkataloge und Abweichungen sein. Für jeden Hazard wird vom Risikomanagement ein Severity Rank von 1 – 10 festgelegt, d. h. in welcher Weise der Herstellungsprozess den Patienten gefährdet (Bewertung des Schadensausmaßes). Zudem wird die Auftretenswahrscheinlichkeit (Occurence, 1 – 10) für jeden Hazard festgelegt. Für die Einschätzung beider Einflussgrößen kann sich an der DIN EN ISO 13485 orientiert werden und soll, wenn möglich, aus Ist-Daten ermittelt werden, z. B. aus der Analogie zu ähnlichen Produkten und Anlagen, sowie aus den Ergebnissen produktinterner Kontrollen und der Anzahl aufgetretener Abweichungen.
  3. Als zweites Dokument wird eine Prozessschrittliste benötigt, d. h. eine Auflistung des Gesamtprozesses in die entsprechenden Teilschritte aus Sicht des Produktes.
  4. Aus beiden Dokumenten wird in einem 4. Schritt durch Kombination jedes Prozessschrittes mit jedem Prozess Hazard eine systematische Kreuzmatrix erstellt.
  5. Dabei auftretende unsinnige Kombinationen können in einer Vorbewertung im 5. Schritt mit entsprechenden Begründungen herausgefiltert werden. Im Rahmen dieser Vorbewertung wird zudem die Entdeckungswahrscheinlichkeit (Detectability) des Prozess Hazards am entsprechenden Prozessschritt eingeschätzt. Hierbei kann sich ebenfalls an der DIN EN ISO 13485 orientiert werden, sowie an automatischen und manuellen Kontrollschritten zur Fehlererkennung. Zum Abschluss der Vorbewertung wird die Risikoprioritätszahl (RPZ) aus dem Produkt aus Severity, Auftretenswahrscheinlichkeit und Detectability für jede Hazard-Prozessschritt-Kombination berechnet.
  6. In der finalen Hauptbewertung werden innerhalb eines kleinen Expertenteams 3 Bereiche für die RPZs festgelegt: Ein grüner Bereich, für den keine Maßnahmen notwendig sind, ein gelber Bereich, für den mögliche Maßnahmen im Expertenteam diskutiert werden müssen, um das Risiko zu reduzieren und ein roter Bereich, für den risikominimierenden Maßnahmen notwendig sind.
  7. Sind nach der Hauptbewertung risikominimierende Maßnahmen notwendig, müssen diese von kompetenter Stelle in einem 7. Schritt festgelegt und durchgeführt werden. Dies kann beispielsweise eine Änderung des Prozessdesigns oder eine Überprüfung durch weitere Validierungen sein. Anschließend findet eine erneute Beurteilung der Risiken statt.
  8. Da es sich bei dieser FMEA-Variante um ein lebendiges, selbstlernendes System handelt, sind im 8. Schritt regelmäßige Überprüfungsrhythmen notwendig. Dabei wird beispielsweise die Hazardliste auf Aktualität überprüft. Die Annahmen, insbesondere die unterstellte Ereignishäufigkeit, sollen durch reale Daten (z. B. Annual Reports) verifiziert werden.

Auf diese Weise erhält man eine selbstlernende FMEA, die sich auf Fehler-Risiko-Analyse fokussiert und die Fehler klassischer FMEAs umgeht. Ein Beispiel mit 3 Hazard-Prozessschritt-Kombination für einen Kapselbefüllungsprozess kann in Abbildung 1 eingesehen werden. Ausführliche Details zu der alternativen Methode lesen Sie in der Veröffentlichung von Spengler und Juhnke (1).


Abbildung 1 Beispiel FMEA nach Spengler und Juhnke


Literatur

1. Jan-Peter Spengler, Hanno Juhnke: Prozess FMEA, Pharm. Ind. 77, Nr. 6, 839 – 843 (2015)

 
 

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Kommentare


Sehr geehrter Herr Gruner, Vielen Dank für Ihre Anregung der Wiedereinführung einer PDF-Version des LOGFILE. Wir werden die technischen und prozessualen Möglichkeiten nochmals prüfen. In jedem Fall können Sie jedoch die URL des Beitrags abspeichern. Auf unserer neuen Website sind auch in Zukunft ältere Leitartikel des LOGFILE zu finden. Wenn Sie die Webadresse speichern, können Sie so auch immer auf ältere Beiträge zurückgreifen und sehen auch die Kommentare, die andere Nutzer abgegeben haben. In jedem Fall werden wir uns mit dem Thema PDF noch einmal beschäftigen. Vielen Dank und weiterhin viele Erkenntnisse mit dem LOGFILE Abo Ihr Team vom GMP-Verlag
Team GMP-Verlag 05.11.2019

Guten Tag, vielen Dank für der wieder sehr interessanten Leitartikel (FMEA). Eine kleine Anregung hätte ich aber doch: es wäre gut wenn es eine Möglichkeit gäbe, Ihre Leitartikel, die sich ja mit interessanten GxP-Themen beschäftigen, als PDF-Datei herunterzuladen. Viele der Leitartikel sind es doch wert, auch nach längerer Zeit wieder angesehen zu werden. Ich habe zwar auch diesen Artikel per Zwischenablage aus dem Browser als PDF-Datei abgespeichert, jedoch ergeben sich gerade bei der Grafik hässliche Verzerrungen. Ich hoffe, hiermit eine nützliche Anregung gegeben zu haben. Mit freundlichen Grüße Dr. Karl Reinhold Gruner
Karl Reinhold Gruner 29.10.2019

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