Expert*innen: Lea Joos, Dr. Christian Gausepohl
Protokoll: Dr. Sabine Paris
Die Herstellung ist der Ursprung der Good Manufacturing Practices - hier ist die Kernzelle der GMP-Compliance. Vieles muss beachtet und kontinuierlich korrekt umgesetzt werden.
Wie geht man mit den Herausforderungen des Produktionsalltags um? Wer trägt welche Verantwortung? Was lässt sich delegieren? Wie geht man mit Abweichungen um?
Wenn bei der Bilanzierung einer Charge von 100 Fertigpackungen nur 99 Serialisierungsnummern verbraucht wurden, ist das eine kritische Abweichung. Eine Faltschachtel trägt keine Nummer! Für den Patienten stellt dies letztlich jedoch in der Regel keine Gefahr dar. Die betreffende Packung würde in der Apotheke nicht abverkauft werden können, da sie im System nicht gefunden wird.
Wenn sich bei der Bilanzierung herausstellt, dass 101 Nummern hochgeladen worden sind, aber nur 100 Packungen produziert wurden, ist die Abweichung nicht kritisch. Es wurde eine sogenannte „Orphan-Number“ oder auch Nummernleiche generiert, zu der keine Packung zugeordnet ist.
Ziel sollte aber grundsätzlich sein, dass überhaupt keine Abweichungen bei der Nummernvergabe vorkommen. Der Hersteller muss festlegen, wie viele Abweichungen (in %) er für zulässig erachtet. Alle Abweichungen können auch als solche in einem formellen Verfahren bewertet werden. Wenn sich die Anzahl im festgelegten Rahmen bewegt, müssen sie nicht zwangsläufig formell bewertet werden. Die Generierung einer Vielzahl solcher Nummern sollte im Sinne der Fälschungssicherheit jedoch kritisch betrachtet werden.
Eine Ursachenanalyse ist obligat bei ständig sich wiederholenden Abweichungen (z. B. stets eine Nummer zu viel). Diese Analyse führt ggf. nicht immer zum Erfolg, wie die Fragestellerin aus der Praxis berichtete. Hinzu kommt: „dass die Serialisierungssoftware derzeit fast wöchentlich upgedated wird“. Das kann qualitätskritisch sein.
Es gibt Firmen, die in einem separaten Umfeld simulierte Herstellungsschritte zur Mitarbeiterschulung durchführen – z. B. an Eingriffsimulatoren. Die PDA bietet in den USA spezielle Schulungsräume an. Einerseits wird dies als sinnvoll erachtet, da die Produktion in dieser Zeit nicht stillsteht und mögliche Fehler keine Auswirkung auf Produkte haben. Andererseits betonten Teilnehmer, dass eine Schulung direkt in der laufenden Produktion durch erfahrene Mitarbeiter letztlich die beste Lösung ist.
Bei neuen Anlagen bzw. Produkten wird z. B. eine aseptische Abfüllung mit Wasser simuliert in der tatsächlichen Herstellungsumgebung. Eine Teilnehmerin berichtete von Filmaufnahmen während des Media Fill. Diese werden vereinbarungsgemäß nur angesehen, wenn es zu Abweichungen kommt.
Maß aller Dinge ist eine angemessene Ursachenanalyse von Fehlern. Die Ursachen können vielschichtig sein. Neben tatsächlichen „menschlichen Fehlern“ (human errors) kommen u. a. Gerätefehler und fehlerhafte bzw. unvollständige Vorgabedokumente in Frage. Die Ursachen eines „menschlichen Fehlers“ (z. B. fehlerhafte Vorgabedokumente, untaugliche Prozesse) sollten nicht durch eine vorschnelle Annahme eines „menschlichen Fehlers“ übersehen werden, sondern die tatsächliche, zugrunde liegende Ursache ermittelt werden.
Anlagen müssen adäquat qualifiziert und die damit zusammenhängenden Prozesse validiert sein. SOPs müssen etwaige Fallstricke berücksichtigen. So sollte z. B. der Fall, dass eine Linie, die zur Line Clearance nur ab einer bestimmten Körpergröße vollständig einsehbar ist, samt notwendiger Maßnahmen für ggf. kleinere Mitarbeiter in der entsprechenden SOP zur Line Clearance aufgeführt sein.
Die US FDA fragt bisweilen in ihren Inspektionen nach der Quote für „menschliche Fehler“ und nach den ergriffenen Maßnahmen zur Senkung dieser Quote.
Mitarbeiterschulungen sollten auf ihre Effektivität überprüft werden, insbesondere wenn immer wieder dieselben Fehler auftauchen. Die Schulungen sollten so praxisnah wie möglich sein. Im Betrieb kann gut ein erfahrener Mitarbeiter dem zu Schulenden zur Seite stehen. Der Leiter der Herstellung sollte im ständigen Austausch mit den Produktionsmitarbeitern sein, um die tatsächliche Praxis besser zu kennen.
Die Vermittlung der Qualitätsziele lässt sich nur im Dialog realisieren. Zusätzlich müssen sie dem Produktionsziel gleichgestellt sein und nicht hintenanstehen.
Die drei entscheidenden Faktoren für nicht qualitätskonformes Verhalten von Mitarbeitern könnten in Anlehnung an die Kriminologie die folgenden sein: Motivation, Gelegenheit und Rechtfertigung. Dies lässt sich gut im sogenannten „Betrugs-Dreieck“ (Fraud Triangle) darstellen, das in der Kriminologie genutzt wird (s. Abbildung auf S. 3).
Beispiel zur Händedesinfektion:
Motivation: „Ich habe keine Zeit, die Hände zu desinfizieren.“
Gelegenheit: „Es guckt keiner.“
Rechtfertigung: „Wir sind im Produktionsrückstand. Ich muss Zeit einsparen. Und es ist ja noch nie etwas passiert.“
Wenn die Mitarbeiter ein ausgeprägteres Qualitätsbewusstsein haben, verändert dies die „Rechtfertigung“. Der Mitarbeiter unterlässt im besten Fall die Regelabweichung oder fühlt sich im schlechtesten Fall nur schlecht dabei.
Den Mitarbeitern muss klar werden, dass jeder Einzelne für die Qualität verantwortlich ist. Eine Möglichkeit, dies zu vermitteln, ist der Kontakt zu Patienten oder zu Rückmeldungen von Patienten. Diese berichten, wie ihnen die hergestellten Arzneimittel geholfen haben. Das schafft emotionale Nähe, die wichtig ist für das Qualitätsbewusstsein.
Auch kann die „Gelegenheit“ reduziert werden, indem die Entdeckungswahrscheinlichkeit erhöht wird. An kritischen Stellen können z. B. zusätzliche Messungen oder regelmäßige Beobachtungen durchgeführt werden.
Wichtig ist, dass das Qualitätsbewusstsein von der Geschäftsleitung vorgelebt wird und realistische (Produktions-)Ziele gesetzt werden, um auch an der möglichen Motivation („Ich habe keine Zeit…“) anzusetzen. Nützlich sind „Gemba Walks“. Das Management geht vor Ort in die Fertigung, sieht sich die Abläufe an und spricht mit den Mitarbeitern. Ziele sind der Erwerb von Praxiserfahrung, der Austausch mit den Beschäftigten und Erkenntnisgewinn sowie die positive Wahrnehmung des Interesses an der Tätigkeit und emotionale Verankerung der Bedeutung des Compliance-Aspekts.
Die Überwachungsbeamten adressieren die GMP-Anforderungen nach AMG und AMWHV primär an die dort genannten Funktionsträger (Pharmazeutischer Unternehmer, Sachkundige Person, Leiter Herstellung, Leiter Qualitätskontrolle). Die Geschäftsleitung (als sekundäre Stufe) hat in den Regularien nur wenige konkrete (z. B. Managementreview) und in der Regel übergeordnete Aufgaben, z. B. Ressourcenbereitstellung.
Erst bei entsprechend übergreifenden Aspekten/Mängeln wird ggf. auch die Geschäftsleitung angesprochen, z. B. bei vermehrter Mängelfeststellung in einem Bereich, der auf fehlende Ressourcen in diesem Bereich zurückgeführt werden kann. Die Behörde sollte dabei aber nicht instrumentalisiert werden.
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