Der zweite Teil dreht sich um die Themen „Green Deal und GMP“ und „GDP-Update 2020“.
Neben der Corona-Pandemie sorgt ein weiteres Thema für sorgenvolle Blicke in die Zukunft: die Klimakrise. Experten halten deren Auswirkungen sogar für wesentlich gravierender. Doch was hat die Klimakrise mit GMP zu tun? So einiges, wie Dr. Dennis Stern vom BAH in seinem Vortrag aufzeigte. Die Folgen des Klimawandels und die daraus resultierende globale Bedrohung sind hinreichend bekannt. Eines der Problemfelder ist die Umweltverschmutzung mit Mikroplastik und Spurenstoffen – ein Thema, für das auch die Pharmaindustrie als Mitverursacher anzusehen ist. Die EU-Kommission hat mit ihrem „Green Deal“ einen Fahrplan entworfen, der die Wirtschaft nachhaltiger machen soll und alle Wirtschaftszweige betrifft. Dieser Plan beinhaltet auch Initiativen zur Verminderung der Abfallmenge und Erhöhung der Recyclingquote. Der Green Deal soll zur neuen Wachstumsstrategie für die Industrie werden, was u. a. durch den Ausbau digitaler Technologien gefördert werden soll. Die Chemikalienstrategie soll industrielle Innovationen fördern, damit auf die Verwendung gefährlicher Chemikalien verzichtet werden kann. Packmittel, Chemikalien und digitale Technologien, so resümierte Dennis Stern, betreffen auch die Pharmaindustrie und werden entsprechendes Umdenken erforderlich machen.
Arzneimittelrückstände in der Umwelt sind ein weiteres Thema, das mit Sorge zu betrachten ist. Etwa 88 % der Arzneimittelrückstände, die man im Wasserkreislauf findet, sind auf die natürliche Ausscheidung von Menschen und Tieren zurückzuführen, rund 10 % resultieren aus unsachgemäßer Entsorgung und nur 2 % entstehen direkt bei der Arzneimittelproduktion. Hier kann die Pharmaindustrie also nur wenig Einfluss nehmen – zumindest auf den ersten Blick. Die EU hat einen strategischen Aktionsplan aufgestellt, mit dem Umweltrisiken durch Arzneimittel minimiert werden sollen. Daneben gibt es nationale Initiativen wie den Wasserdialog und die Spurenstoffstrategie des Bundes, industrielle Initiativen wie die Medsdisposal-Kampagne und regulatorische Initiativen, hier vor allem das Environmental Risk Assessment (ERA) bei der Zulassung von Arzneimitteln. Sozusagen einen Sonderfall stellt das Thema „Antimikrobielle Resistenzen“ dar. Immer mehr Menschen sterben an Infektionen mit multiresistenten Keimen. Die Problematik ist vielschichtig: Antibiotika werden nicht vollständig verstoffwechselt, die Rückstände im Abwasser können in herkömmlichen Kläranlagen nicht eliminiert werden und es gibt derzeit keine Methode, um die Resistenzbildung beim Menschen durch Antibiotikarückstände in der Umwelt zu bewerten.
Wenn also Arzneimittel und Pharmaindustrie mitverantwortlich sind für die Belastung unserer Umwelt – was nicht zu leugnen ist – warum dann nicht auch Umweltaspekte in GMP-Audits einbinden? Diese provokante Frage stellte Dr. Dennis Stern seinen Zuhörern zum Abschluss dieses brandaktuellen Vortrags. Während im Chatraum hitzige Diskussionen entstanden, lieferte er aber auch gleich eine Antwort: Zumindest derzeit ist eine Verknüpfung von GMP und Umweltinspektionen nicht praktikabel, denn sie würde tiefgreifende Änderungen in den bestehenden Regularien voraussetzen und zusätzliche Schulungsmaßnahmen und Personalkapazitäten in den Inspektoraten erfordern. Dennoch gibt es aktuell zahlreiche Strategien der EU-Kommission, die auch die Pharmaindustrie betreffen und damit Veränderungen einleiten werden.
Abbildung: Quelle: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/gesellschaft-und-politik/deutschland/sdgs/28251.html
Thomas Porstner, PHAGRO Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e.V.
Corona macht vieles möglich, was bislang undenkbar war – so auch mehr Flexibilität im Bereich GDP. Damit es überhaupt irgendwie weitergeht, müssen Kompromisse gemacht werden – natürlich mit dem Anspruch, die Arzneimittelsicherheit dadurch nicht zu gefährden. So lässt die Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung (MedBVSV) im Einzelfall Abweichungen von Bestimmungen des AMG und der AMHandelsV zu, wenn dies zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung erforderlich ist. Auch auf Europäischer Ebene werden Zugeständnisse gemacht – dies betrifft z. B. die automatische Verlängerung von GDP-Zertifikaten und zeitlich befristeten Großhandels-Erlaubnissen bis Ende 2021. Mehr Flexibilität gibt es auch für die Verantwortliche Person: Tätigkeit im Homeoffice, Delegation von Aufgaben sowie kurzfristige Vertretungen sind möglich, aber an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Hintergrund für diese Entscheidungen sind Personalengpässe durch Quarantänemaßnahmen und Krankheitsfälle sowie verschärfte Hygienemaßnahmen.
Wer sich im Detail informieren möchte, findet alle wichtigen Informationen in folgendem Dokument:
NOTICE TO STAKEHOLDERS QUESTIONS AND ANSWERS ON REGULATORY EXPECTATIONS FOR ME-DICINAL PRODUCTS FOR HUMAN USE DURING THE COVID-19 PANDEMIC (European Commission / Heads of the Agencies / EMA) (https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/human-use/docs/guidance_regulatory_covid19_en.pdf)
Thomas Porstner legte den Finger auf einen wunden Punkt: die Einhaltung der Temperaturbedingungen beim Versand von Arzneimitteln durch EU-Versandapotheken. Denn diese können nicht oder nur unzureichend kontrolliert werden und in der Praxis werden erhebliche Mängel festgestellt. Mit der Rechtslage und den Herausforderungen beschäftigt sich nun auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags. Das Problem: Unabhängig von der Frage, ob der jeweilige EU-Mitgliedsstaat vergleichbare Sicherheitsstandards vorsieht, muss der Versand durch die ausländische Apotheke nach Deutschland entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel erfolgen. Eine Überwachung ausländischer Apotheken in Bezug auf die Einhaltung deutscher Vorschriften existiert aber de facto nicht, denn die Überwachungsbefugnisse deutscher Behörden beschränken sich naturgemäß auf die Einhaltung deutschen Rechts in Deutschland. Was bleibt ist die Empfehlung, Arzneimittel direkt in der Apotheke zu kaufen oder bestenfalls über eine deutsche Versandapotheke zu beziehen.
Die Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinie mit dem Ziel, das Eindringen gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette zu verhindern, hat der Branche viel zusätzlichen Aufwand beschert. Nach einer Zusammenfassung der wesentlichen Anforderungen aus den GDP-Leitlinien legte Thomas Porstner dar, welche Auswirkungen dies insbesondere für Großhändler hat. Wann muss die Echtheit des Individuellen Erkennungsmerkmals geprüft werden? Wann ist eine Deaktivierung zulässig bzw. erforderlich? Was muss der Großhändler im Falle einer Fälschung oder eines Fälschungsverdachts tun? All dies ist eindeutig geregelt und ließe sich in der Praxis umsetzen, aber noch krankt das System an technischen Mängeln und Bedienerfehlern.
Eine der Voraussetzungen zum Erhalt der Großhandelserlaubnis ist die Benennung einer Verantwortlichen Person (VP), die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt. Dabei ist ein Pharmaziestudium wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich. Fakt ist, dass pharmazeutische Fragestellungen nur einen Teil der erforderlichen Qualifikation ausmachen. Darüber hinaus muss die VP aber auch in der Lage sein, die fachliche Verantwortung für den ordnungsgemäßen Betrieb zu übernehmen. Da die bestehenden Regelungen Art und Umfang der „erforderlichen Sachkenntnis“ nicht genau definieren, sieht das OVG Münster die zuständigen Behörden in der Pflicht, den Rechtsbegriff zu konkretisieren. Maßstab für die juristische Auslegung ist dabei der jeweilige Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Verantwortlichen Person. Die Sachkenntnis muss nachgewiesen werden, z. B. durch Abschlusszeugnisse und/oder Fortbildungsbescheinigungen.
Die EFG 10 der ZLG arbeitet derzeit an einem Aide-Mémoire zur Qualifizierung und Validierung der Transportprozesse vom Wirkstoff bis zum Fertigarzneimittel. Das AiM soll ein einheitliches Verständnis schaffen über die unterschiedlichen Anforderungen in den verschiedenen Branchen und dabei die jeweiligen branchenspezifischen Besonderheiten berücksichtigen.
Auch für Tierarzneimittel wird derzeit an einem Leitlinienentwurf gearbeitet. Thomas Porstner warf einen Blick auf einige spezielle Inhalte. So sind die vorgesehenen Anforderungen an die Rückgabe von Tierarzneimitteln mit besonderen Lagerungsbedingungen wesentlich strenger als in den GDP-Leitlinien für Humanarzneimittel. Auch wird zwischen „erforderlichen Lagerungsbedingungen“ und „definierten Transportbedingungen“ unterschieden, was eine zulässige Abweichung impliziert. Hinsichtlich der Fahrzeug- und Transportausrüstungen gibt es Nachbesserungsbedarf bei der Unterscheidung von Anforderungen an Temperaturkontrolle, Diebstahlschutz und Nachverfolgbarkeit. Es bleibt abzuwarten, wie diese Aspekte letztendlich geregelt werden. Die Finalisierung ist in 2022 geplant.
Last but not least verwies Herr Porstner auf die im April 2020 veröffentlichte WHO-Leitlinie Good storage and distribution practices for medical products (WHO Technical Report Series, No. 1025, 2020; Annex 7) Unter “medical products” versteht die Leitlinie “products including, but not limited to, finished pharmaceutical products, medical devices including in vitro diagnostic medical devices, and vaccines.“ Damit ist der Anwendungsbereich weiter gefasst als bei den bisherigen Leitlinien zur Guten Lagerungs- und Transportpraxis, die in der neuen Leitlinie aber noch als Referenzen aufgeführt sind.
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