19.07.2022 | LOGFILE Leitartikel 28/2022

Auszug aus dem Interview mit Frank Studt, Managing Director gempex GmbH, und Thomas Peither beim GMP:talk auf den LOUNGES 2022

 

Mit Inspection-Readiness-Projekten das nächste GMP-Level erreichen

Mit Inspection-Readiness-Projekten das nächste GMP-Level erreichen

9 Min. Lesezeit | von Frank Studt und Thomas Peither

Auszug aus dem Interview mit Frank Studt, Managing Director gempex GmbH, und Thomas Peither beim GMP:talk auf den LOUNGES 2022


Thomas Peither: Ich habe in meiner beruflichen Vergangenheit viele Inspektionsvorbereitungen durchgeführt und da waren es immer Hauruckaktionen. Also man wurde geholt als Feuerlöscher oder Feuerwehr. Hat sich hier in den letzten zwei Jahren seit der Coronapandemie etwas verändert?


Frank Studt: Nein, ich will einmal die Gegenfrage stellen: Warum sollte sich etwas verändert haben? Die Behörden sind über zwei Jahre in den Unternehmen nicht persönlich aufgetreten. Da würde ich sogar denken, dass gewisse Dinge ein bisschen in den Hintergrund geraten sind. Ich befürchte, dass sich da nichts verändert hat. Einerseits haben wir die international aufgestellten Unternehmen, für die internationale Inspektionen Daily Business sind. Das heißt, da geht der Prozess einfach weiter. Aber bei den kleinen und mittleren Unternehmen, für die eine internationale Behördeninspektion etwas ganz Besonderes, eine einmalige Aktion ist, die vielleicht nur alle drei Jahre kommt, da hat sich eine ganze Menge verändert.

Ich möchte gerne an der Stelle einmal ganz kurz den Unterschied zwischen einem Audit und einer Inspektion erwähnen. Das ist meiner Ansicht nach recht wichtig. Letzten Endes, wenn ich als Hersteller eines pharmazeutischen Produktes gewisse Anteile in Lohn herstellen lasse, dann gehe ich zum Lohnhersteller und auditiere ihn. Das ist eine freundliche Aktion. Mein Interesse ist, dass bei dem Lohnhersteller das GMP-System besser wird. Wenn eine inspizierende Behörde kommt, dann reden wir über Inspektion, also über etwas Investigatives. Schauen Sie den Tatort am Wochenende an, da ist der Inspektor unterwegs, der sucht. Und der glaubt nicht. Der unterstellt Böses. Der unterstellt, dass Sie ihn belügen wollen. Der unterstellt, dass das, was sie erzählen, unter Umständen gar nicht stimmt. Das ist vom Stress her eine völlig andere Situation, als wenn Sie ein Audit zu bestehen haben.

Und dann ergeben sich, wenn eine Inspektion ins Haus steht, diese typischen Hauruckaktionen. Eine Inspektion wird unter Umständen nur sechs, acht Wochen, drei Monate vorher angekündigt. Und dann heißt es: Wo stehen wir denn eigentlich jetzt? Wer kann mir denn mal eben sagen, in welchem Zustand unsere Prozesse und unsere Dokumente sind, wo ist die Qualifizierung, wo ist die Prozessvalidierung, die Reinigungsvalidierung, all das, was an Dokumenten und Nachweisen vorliegen muss?

Ich war kürzlich bei einem Unternehmen, die haben alleine im Labor ca. 900 SOPs. Bei einem guten Teil habe ich rausgefunden, dass diese anders umgesetzt werden, als es die Dokumente besagen. Klarheit darüber zu bekommen, sind die Hauruckaktionen Nummer eins, die kommen. Erstmal Übersicht schaffen, eine Gap-Analyse durchführen, Maßnahmen ansetzen. Zur Unterstützung wird oft ein hoffentlich qualifizierter Berater engagiert. Und die zweite Hauruckaktion, die eigentlich immer kurz vor Inspektionen kommt, ist das Inspection Management, also das Front Office mit dem Inspektor und das Back Office (den Dokumenten-Raum) zu organisieren, zudem noch schnell die Mitarbeiter zu trainieren. Was dürfen die Mitarbeiter erzählen? Wie weit dürfen sie sich aus dem Fenster lehnen? All diese Themen müssen aufbereitet werden. Das ist sehr viel Arbeit.


Thomas Peither: Gibt es eine Alternative zu diesen Hauruckaktionen?


Frank Studt: Ja, ich meine schon. Eben das, was wir Berater auch immer predigen. Es gibt eine Welt draußen und es gibt eine ideale Welt. Ich glaube wichtig ist, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Inspection Readiness in den täglichen Betrieb hineinzubekommen, halte ich für ganz wichtig. Die Unternehmer sollten nicht nur einmal im Jahr GMP trainieren, sondern schauen, wo die Mängel im Routinebetrieb liegen und dann gezielt nachschulen und kontinuierliches Training einbauen. Inspection Readiness sollte als kontinuierlicher Prozess gesehen werden. Und dieser geht sehr früh los, bereits mit der Entwicklung eines pharmazeutischen Produktes, dann wenn die ersten Daten generiert werden. Diese müssen strukturiert abgelegt und jederzeit wiedergefunden werden. Track and Trace und Data Integrity sind ganz wichtig dabei.

Und man darf nicht glauben, dass ein Transferprojekt aus der Entwicklung in die Routine ein Selbstläufer ist! Wir haben in der Vergangenheit sehr viele Transferprojekte gesehen. Diejenigen, die nicht konsequent als Projekt – also mit Terminplan, Kostenplan, Verantwortlichen – aufgezogen wurden, diejenigen scheitern. Es ist ein ganz wesentlicher Aspekt, auch darauf zu achten, dass eine positive Fehlerkultur mit eingebaut wird. Fehler machen ist etwas Normales. Das ist auch gut so, denn Fehler bedeuten: Ich finde tatsächlich etwas, was besser gemacht werden kann. Die Fehlerkultur, ein offenes Bekenntnis sozusagen, mit einzubauen, halte ich für gut und für richtig.


Thomas Peither: Fehlerkultur ist für mich auch schon lange Zeit ein Thema. Wer unseren Webcast GMP & TEA verfolgt, der hat es sicher schon ein paar Mal gehört. Und mir ist ein Satz vor Kurzem über den Weg gelaufen, der für mich ein wesentlicher ist und zwar stammt er von William Edward Deming, einem der großen Quality-Päpste: Blame the process and not the people. Und das ist für mich der Inbegriff dessen, was Qualitätskultur eigentlich bedeutet.

Was sind aus deiner Sicht Erfolgskriterien für die Etablierung einer positiven Fehlerkultur?


Frank Studt: Du hast es eben schon selber gesagt. Das Harvard Conflict Theorem geht ja auch davon aus, dass man die sachliche Ebene von der persönlichen Ebene trennen soll. Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass nicht mit dem Finger auf die Person gezeigt wird, die einen Fehler gemacht hat. Ich will nicht über dessen Fehler reden, sondern ich möchte über das Potenzial, was dahintersteckt, sprechen, welches für den Herstellungsprozess letzten Endes gehoben werden soll. Darüber möchte ich reden. Ich möchte über Nutzen sprechen und nicht über Personen und Fehler. Es ist wichtig eine Fehlerkultur in der Form zu etablieren, dass man den Finger oder die Hand hebt und sagt: Da ist etwas passiert, darum müssen wir uns kümmern, wir müssen uns öffnen und dann tatsächlich zusehen, dass eine wichtige Maßnahme umgesetzt wird, nicht dass ein Mensch zurechtgewiesen wird. Das ist wichtig.

Ich würde vielleicht noch ein Beispiel zu einem falschem GMP-Verständnis machen wollen. Wenn man so viel als 3rd Party Auditor unterwegs war wie ich, dann ist man ganz oft mit dem Satz konfrontiert worden “Wir möchten kein Audit beauftragen, sondern nur einen Audit-Bericht kaufen”. Es besteht also die Ansicht, dass Auditberichte Handelsware sein müssten, um günstig erworben werden zu können. Und da liegt für mich der Hund begraben. Das ist ein Fehler, der gemacht wird, der nicht gemacht werden darf. Wenn ich einen Lieferanten qualifiziere, muss ich wissen, was auf dort tatsächlich los ist.


Thomas Peither: Ist der Kauf von Audits wirklich so weit verbreitet? Ich höre es auch immer wieder.


Frank Studt: Das ist verbreitet, weil Lieferantenqualifizierung ein sehr teures Thema ist. Ich habe als Auditor mal den schönen Satz gehört: “Eine QP gehört nicht in den Flieger”. Und der Satz stimmt. Man muss Leute, qualifizierte Leute zu einem Audit entsenden, die auch in der Lage sind zu inspizieren, die in der Lage sind, die richtigen Fragen zu stellen, kooperativ rauszufinden, was auf der anderen Seite los ist. Klar kostet das Geld. Ein großer Lohnhersteller, mit vielleicht 700 Lieferanten, steht unter erheblichem Kostendruck, da liegt die Frage schon nahe!

Jetzt stell dir einmal vor, du fährst nach Asien, machst ein Audit bei einem kritischen Lieferanten, der hat zwei kritische Mängel, zudem schwerwiegende und kleinere Mängel. Dann schreibst du einen Auditbericht, der dies alles objektiv beschreibt, und legen dem Lieferanten den Bericht vor. Dieser wird den Bericht sicher nicht unterschreiben mit dem Wissen, dass dieser in Europa verkauft wird. Er wird sich verweigern. Der potenzielle Käufer des Berichtes, der niemals vor Ort war, mag so einen Bericht auch nicht erstehen. Er möchte gerne einen Auditbericht erwerben, mit dem er hinterher wenig Arbeit hat. Die gefundenen Mängel dürfen also wohl eher nicht kritisch sein. Nur dann kann ich den Bericht verkaufen. Wenn ich mit der Motivation loslege, dann schreibe ich einen schönen Prosabericht mit schönen Fotos drin. Aber der ist das Geld nicht wert.


Fazit

Die Erfahrungen aus vielen Jahren Inspektionspraxis zeigen: Inspection Readiness als kontinuierlichen Prozess verstanden und risikobasiert umgesetzt, spart Geld und Nerven! Dafür ist es wichtig, u.a. folgende Aspekte in den GMP-Alltag zu integrieren: Datenintegrität, kontinuierliches Training und eine positive Fehlerkultur.

 
GMP-Verlag Peither AG

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