Ein Auszug aus dem GMP-BERATER, Kapitel 1.E
Nobody is perfect – und damit wird der Betroffene nachgeschult, ohne Abläufe und Prozesse weiter zu hinterfragen. Die Schulung wird dokumentiert und die Abweichung geschlossen. Aber ist es wirklich so einfach? Spätestens, wenn die gleiche oder eine ähnliche Abweichung wieder und wieder auftritt, ist es Zeit, genauer nachzusehen.
Im Rahmen der visuellen Kontrolle eines Raums vor Aufnahme der Fertigungsaktivitäten wurde festgestellt, dass noch Produktreste vom Vorprodukt erkennbar waren. Die Ursachenermittlung zeigte, dass der Mitarbeiter die Raumreinigung abweichend von der Verfahrensanweisung durchgeführt hat (direkte Fehlerursache). Die bloße Feststellung der Fehlerursache „Mensch“ (human error) reicht hier aber nicht aus. Die weitere Recherche zeigt, dass der betroffene Mitarbeiter nur unzureichend in diesem Reinigungsverfahren geschult war und dementsprechend nicht ausreichend qualifiziert war. Damit müssen auch mögliche Mängel im Schulungssystem (warum war der Mitarbeiter nicht geschult?) sowie im Personalmanagement (wieso wurde ein Mitarbeiter für die Arbeit eingeteilt, für die er nicht qualifiziert war?) als mögliche Ursachenfaktoren (contributing factors) angesehen werden. Gegebenenfalls kann hierbei als zugrunde liegende Ursache (true root cause) ein Managementfehler durch unzureichende Kapazitäten und Ressourcen im Schulungs- bzw. Qualifizierungssystem herauskommen.
Ziel der Ursachenermittlung muss es daher sein, eine oder mehrere Ursachen zu ermitteln. Die Dokumentation hierüber muss sowohl die Ergebnisse, die Begründungen als auch die Ausschlusskriterien aufzeigen. Die Dokumentation muss auch retrospektiv im Fall von späteren Inspektionen oder Beanstandungen sowie weiteren internen Recherchen nachvollziehbar sein.
Menschliche Fehler werden leicht als Ursache identifiziert. Hier darf die Ursachenermittlung aber nicht aufhören, denn diese Betrachtung bleibt an der Oberfläche, wie in dem o.g. Beispiel verdeutlicht wurde. Auch im EU-GMP-Leitfaden findet sich die Anforderung, nicht einfach mit der bloßen Feststellung „human error“ als Ursache aufzuhören (Abbildung 1).
Anforderung zu "human error" |
Wenn ein menschlicher Fehler als Ursache vermutet oder identifiziert wurde, sollte dies begründet werden unter Beachtung, dass sichergestellt wurde, dass verfahrenstechnische oder systembasierte Fehler, sofern vorhanden, nicht übersehen wurden. |
Abbildung 1 Anforderungen EU-GMP-Leitfaden 1.4
Vielmehr kann die Feststellung „human error“ auch als Startpunkt für die weitere Untersuchung angesehen werden. Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang von möglichen Grundursachen bei der Feststellung von „human error“.
Abbildung 2 Mögliche Grundursachen für einen „Human Error“
Bei der Beantwortung der einfachen Ausgangsfrage: Warum wurde die SOP zur Raumreinigung nicht befolgt? müssen viele Fragen in diesem Zusammenhang gestellt werden, und verschiedene zugrunde liegende Ursachen könnten identifiziert werden. In diesem Beispiel sind die wahrscheinlichsten Ursachen als Arbeitshypothesen formuliert und werden mit weiteren Fragen untersucht. Diese Vorgehensweise ermöglicht den Einsatz von vorformulierten Checklisten im Rahmen der Untersuchung und erleichtert damit die Durchführung.
Möglicherweise enthält die SOP zu viele Details, ist zu komplex oder nicht entsprechend der Zielgruppe geschrieben, d.h. nicht verständlich. Auf der anderen Seite können zu wenige Details auch zu eigenen Interpretationen der Mitarbeiter und möglicherweise zu Abweichungen führen. Daher sollten die Fragen lauten:
Idealerweise besteht die Schulung des Mitarbeiters aus mehreren Phasen, d.h. Lesen der SOP, Erlernen der Arbeitsschritte vor Ort (on the job training) und die Überprüfung der Wirksamkeit der Schulung. In einigen Fällen werden reine Leseschulungen durchgeführt oder auch in Kombination mit der Durchführung vor Ort ohne Wirksamkeitsprüfung. Zusätzlich muss vermittelt werden, dass die Mitarbeiter verstehen, dass die Einhaltung der SOPs die einzig akzeptable Art der Ausführung der Arbeitsschritte ist. Daher sollten die Fragen lauten:
Nicht jeder Mitarbeiter kann für alle Aufgaben geeignet sein. Hier kann es beispielsweise zu Unter- oder Überforderungen kommen. Auch physische Einschränkungen können eine Rolle spielen. Daher sollten folgende Fragen gestellt werden:
Die Art und Weise, wie die Prozesse aufgesetzt werden, beeinflusst die Fehlerrate bei der Durchführung. Einige Prozesse sind komplex und verfügen über Schnittstellen und Überträge in andere Prozesse. Sowohl lean als auch human error prevention-Programme schauen auf die Identifizierung und Reduktion von Verschwendung (waste) und fehlerträchtigen Arbeitsschritten. Daher sollte im Rahmen der Ursachenanalyse das Prozessdesign betrachtet werden:
Die Wahrscheinlichkeit für Fehler steigt, wenn der Mitarbeiter mehrere Aufgaben gleichzeitig durchführt oder häufig unterbrochen wird. Dies ist in erster Linie eine Managementaufgabe, um die Zuordnung und Abstimmung von arbeitstäglichen Aufgaben, Projekten, Terminen sowie Schulungen durchzuführen und so die Fehlerwahrscheinlichkeit zu reduzieren. Dabei sollten folgende Fragen helfen:
Es gibt einige allgemeine Modelle, die bei der Bewertung und Verbesserung von „human error“ herangezogen werden können, z.B. das Gilbert-Modell für Verhaltensmodellierung (Gilbert’s Behavioral Engineering Model) (Abbildung 3). Bei diesem Modell wird davon ausgegangen, dass alle 6 Themenfelder gleich bedeutend sind und adressiert werden müssen, um das menschliche Verhalten positiv zu beeinflussen.
Abbildung 3 Gilbert-Modell für Verhaltensmodellierung1
Daraus ergeben sich wichtige Fragestellungen, die die menschliche Fehlerrate beeinflussen:
Unterstützt die Arbeitskultur die richtige Durchführung der Aufgabe? Sind die persönlichen und die Unternehmensanreize aufeinander abgestimmt?
1 modifiziert nach Deb. Wagner, Human Performance Technology Toolkit
FAZIT : Für die nachhaltige Verbesserung ist die Qualitätskultur des Unternehmens von großer Bedeutung. Dazu gehört die offene Auseinandersetzung mit den eigentlichen Gründen von „human error“. Dies stellt eine Herausforderung dar, die sicherlich nicht bequem ist und den vom Management getragenen Willen voraussetzt, in diesem Feld kontinuierlich Verbesserung erreichen zu wollen.
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