Ein Auszug aus dem GMP-BERATER, Kapitel 1.E
Da die Sachkundige Person (QP) im Rahmen ihrer Freigabeentscheidung die Abweichungen zu einer Charge bewerten muss, empfiehlt es sich, die QP bereits in die Genehmigung von Abweichungen zu involvieren. Auf diese Weise können Fragestellungen und Perspektiven der QP frühzeitig berücksichtigt werden und nicht erst zum Zeitpunkt der Freigabe. Es hat sich bewährt, geringfügige Abweichungen (z. B. minor) durch zentrale Funktionen wie die Qualitätssicherung abschließen zu lassen, um die Abläufe effizient zu gestalten und die QP zu entlasten. Der Sachkundigen Person müssen alle Abweichungen zum Zeitpunkt der Freigabeentscheidung abgeschlossen vorliegen. Dies kann entweder elektronisch oder in Papierform erfolgen. Sinnvoll ist die Kopplung von elektronischen Abweichungssystemen mit dem für die Freigabe verwendeten System. Dies stellt sicher, dass alle Abweichungen (vom Ausgangsstoff über Zwischenstufen bis zum Endprodukt) direkt und vollständig vorliegen und in die Bewertung einbezogen werden.
Annex 16 beschreibt, welche Anforderungen im Umgang mit Abweichungen im Rahmen der Freigabe an die Sachkundige Person gestellt werden (Abbildung 1).
Anforderung an den Umgang mit unerwarteten Abweichungen bei der Chargenfreigabe Wenn die zugelassenen Spezifikationen für Wirkstoffe, Hilfsstoffe, Verpackungsmaterialien und Arzneimittel eingehalten werden, kann eine sachkundige Person in Betracht ziehen, für eine Charge die Einhaltung der Anforderungen zu bestätigen oder eine Charge zu zertifizieren, bei der eine unerwartete Abweichung bezüglich des Herstellungsverfahrens bzw. der analytischen Kontrollmethoden von den in der Genehmigung für das Inverkehrbringen bzw. in der Guten Herstellungspraxis enthaltenen Details aufgetreten ist. Die Abweichung sollte gründlich untersucht und ihre Ursache behoben werden. Unter Umständen ist es erforderlich, eine Änderungsanzeige einzureichen, um mit der Herstellung des Produkts fortfahren zu können. |
Abbildung 1 Anforderungen an den Umgang mit Abweichungen bei der Chargenfreigabe gemäß Annex 16, Kapitel 3
Eine Freigabe von Chargen mit Abweichungen ist nur möglich, wenn die in Abbildung 2 genannten Kernforderungen erfüllt sind:1
Die zugelassenen Spezifikationen sind eingehalten Dies umfasst die zugelassenen Spezifikationen von Wirkstoffen, Hilfsstoffen, Verpackungsmaterialien sowie die des Bulk-Arzneimittels und des Fertigarzneimittels. Wenn diese Spezifikationen verletzt sind, darf die Qualified Person die Freigabe nicht erteilen. Für Inprozesskontrollen gilt differenzierter, dass hier das individuelle Risiko bewertet werden muss, z. B. abhängig von den getesteten Qualitätsattributen, der Auswirkung auf nachfolgende Fertigungsstufen sowie der Möglichkeit, das Qualitätsattribut am fertigen Produkt zu prüfen. |
Die Abweichung ist unerwartet Nur unerwartete Abweichungen fallen unter die Definition von Kapitel 3 im Annex 16. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wiederholte Abweichungen nicht akzeptiert werden können, da sie nicht unerwartet sind. Sollte eine Abweichung im Rahmen einer Herstellungskampagne erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden, können diese Abweichungen noch bis zum Zeitpunkt der Entdeckung als unerwartet angesehen werden. Nachfolgende Abweichungen sind nicht akzeptabel, sondern sollten als Änderungen bzw. Variations eingereicht werden. Ausnahmen hiervon können nur freigegeben werden, wenn dies im Fall von entstehenden Unterbrechungen für die Marktversorgung durch die Behörden genehmigt wird und die Maßnahmenumsetzung (CAPA) läuft. |
Die Abweichung bezieht sich auf die Prozesse und Methoden in Herstellung und Prüfung aus Zulassungs- oder GMP-Sicht Die Abweichungen in Herstellung und Qualitätskontrolle betreffen nicht die zugelassenen Spezifikationen, sondern die in der Zulassung beschriebenen Produktionsprozesse oder analytischen Verfahren, oder es handelt sich um Abweichungen aus GMP-Sicht, wie z. B. das Nichteinhalten von Verfahrensanweisungen. |
Die Abweichung wurde gründlich untersucht und ihre Ursache behoben Die Abweichung wurde im Rahmen des Abweichungsmanagementsystems untersucht, die Ursachen ermittelt und die Auswirkungen hinsichtlich ihres Risikos im Rahmen des Qualitätsrisikomanagements untersucht. Dabei sind die Maßnahmen entsprechend initiiert. |
Auswirkung auf Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit sind vernachlässigbar Es muss dargestellt werden, dass die möglichen Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit der betroffenen Charge oder Chargen entweder nicht vorhanden sind oder vernachlässigbar sind. Dies stellt eine elementare Bewertung innerhalb des Abweichungsmanagements dar. |
Die Notwendigkeit einer Stabilitätsstudie wurde geprüft Es muss abgewogen werden, ob für die betroffene(n) Charge(n) eine Stabilitätsstudie vorgesehen werden muss, um mögliche Auswirkungen der Abweichungen auf die Stabilität des Produktes zu detektieren. |
Bei biologischen Arzneimitteln wurden alle Abweichungen bewertet Für biologische Arzneimittel wird besonders darauf hingewiesen, dass jegliche Abweichung unerwartete Auswirkungen auf die Sicherheit und Wirksamkeit haben kann und damit der höheren Komplexität Rechnung getragen. |
Abbildung 2 Anforderungen an die Chargenfreigabe bei Vorliegen einer Abweichung
Sind die oben angegebenen Bedingungen erfüllt, kann die Sachkundige Person eine Freigabe trotz Abweichungen erwägen. Die Rationale für die Entscheidung muss nachvollziehbar dokumentiert werden. Wenn mehrere Sachkundige Personen bei Herstellung, Kontrolle oder Freigabe der Charge beteiligt sind, muss die abschließend zertifizierende QP Kenntnis über alle Abweichungen zu Zulassungs- oder GMP-Compliance haben. Dies wird normalerweise in den entsprechenden Qualitätsvereinbarungen beschrieben. Ein möglicher Weg ist die Auflistung der Abweichungen in der jeweiligen Konformitätsbescheinigung für die einzelne Herstellungsstufe.
1 Kapitel 3 Annex 16 inkl. Erläuterungen Guidance on good manufacturing practice and good distribution practice: Questions and answers, EU GMP guide annexes: Supplementary requirements: Annex 16 (Updated May 2018)
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