01.04.2025 | LOGFILE Leitartikel 07/2025

Fakten oder Bauchgefühl – wie zuverlässig sind Ihre Risikoanalysen?

Fakten oder Bauchgefühl – wie zuverlässig sind Ihre Risikoanalysen?

5 Min. Lesezeit | von Martin Mayer

Wovon hängt es ab, ob eine Risikoanalyse zuverlässig ist?

Der Erfolg einer Risikoanalyse und der darauf basierenden Risikobewertung ist entscheidend von der Güte, Stichhaltigkeit und Zuverlässigkeit der zugrundeliegenden Informationen und der Objektivität der Beteiligten abhängig. Mögliche Subjektivität sollte den Beteiligten bewusst und deren mögliche Quellen bekannt sein. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn quantitative Methoden prospektiv angewandt werden.

Betrachten wir hierzu folgendes Beispiel:

Sie führen eine Risikobeurteilung durch, um die Planungen für eine neue Prozessanlage zu unterstützen. Hierbei wird ermittelt, welche kritischen Prozessparameter welchen (möglichen) Einfluss auf welche kritischen Produkt-Qualitätsattribute eines künftig herzustellenden Arzneimittels haben und wie diese prozesstechnisch zu steuern, zu überwachen und aufzuzeichnen sind.

Liegen Erfahrungen mit dem Produkt vor und/oder ist die geplante Anlagentechnik bekannt, können historische Daten zur Grundlage von Risikoanalyse und -bewertung gemacht werden. Liegen aber keinerlei Prozess- oder Produkterfahrungen vor, oder ist die Technologie unbekannt, fällt die quantitative Einschätzung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines Fehlers schwer. Wird dennoch eine Quantifizierung durchgeführt, ist die Basis der Einschätzung bestenfalls eine mehr oder minder fundierte Annahme oder eine Vermutung bzw. im schlimmsten Fall reine Spekulation. 

Basiert die Einschätzung der Auftretenswahrscheinlichkeit, der Entdeckungswahrscheinlichkeit eines Fehlerereignisses oder der Schwere des Ausmaßes eines Schadens auf einer Vermutung, die man in einem numerischen Wert ausdrückt, wird damit eine Aussagepräzision suggeriert, die eigentlich gar nicht vorhanden ist. Es handelt sich also um eine Scheinpräzision. Es findet entweder eine Überschätzung oder eine Unterschätzung statt, die oft signifikant ist. Daher ist es unerlässlich, Annahmen und Vermutungen sowie weitere Quellen der Unsicherheit als solche kenntlich zu machen und damit die Zuverlässigkeit der getroffenen Aussagen klarzustellen, beziehungsweise die Grenzen der Aussagefähigkeit darzulegen.


Wie bekommt man Subjektivität und Scheinpräzision in den Griff?

Aus unterschiedlichen Erfahrungen, Sichtweisen oder Interessenslagen der QRM-Beteiligten - alle sind Menschen! - können sich Verzerrungen, Annahmen, Einseitigkeit, Voreingenommenheit und Intoleranz – kurz Subjektivität ergeben. Diese menschlichen Faktoren können jede Phase eines QRM-Prozesses beeinflussen, insbesondere dort, wo viele Beteiligte zusammentreffen.

Besonders anfällig für Subjektivität sind die Gefahrenidentifizierung und die Abschätzung der Eintretenswahrscheinlichkeit und Schwere von Gesundheitsschäden. Aber auch die Festlegung von risikominimierenden Maßnahmen (Gefahrenabwehr) und die Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen können negativ beeinflusst werden – Risiken werden falsch eingeschätzt, über- oder unterschätzt. In der Folge werden falsche oder unangemessene Entscheidungen getroffen.

Subjektivität kann auch die Folge von Unsicherheit, Unklarheit und mangelndem Produkt- und Prozesswissen sein, wenn die Intention oder Zielsetzung eines QRM-Prozesses unzureichend definiert ist. Weitere Ursachen von Subjektivität können die Auswahl einer ungeeigneten Methode, schlecht gestaltete Bewertungsskalen und mangelnde Methodenkompetenz sein. Wenn QRM-Methoden und Instrumente mechanisch, ohne den gesunden Menschenverstand „abgearbeitet“ werden, weil es eben gefordert ist, wenn quantitative Methoden auf der Basis von qualitativem Wissen oder auf Annahmen basierend angewandt werden, sind die Ergebnisse meist sehr subjektiv.

So wie Handwerker grundsätzlich und durch Wiederholung lernen müssen, wie die ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeuge in einer Situation am wirksamsten genutzt werden, müssen sich die Beteiligten eines QRM-Prozesses mit dem Thema auseinandersetzen. Sie müssen wissensbasiert handeln und lernen wollen, sie müssen sich mit den zur Verfügung stehenden QRM-Methoden gut auskennen und wissen, wie diese eingesetzt werden können und wie besser nicht.

Subjektivität wird man nicht vollständig vermeiden oder eliminieren können, aber indem man sich bewusst macht, woraus Subjektivität entstehen kann und worin sie sich manifestieren kann, kann sie minimiert werden. Dazu müssen alle QRM-Beteiligten die Möglichkeit von Subjektivität anerkennen, antizipieren, ansprechen und minimieren wollen.


Fazit:

Risikobasierte Entscheidungen setzen nicht nur Produkt- und Prozesswissen voraus, sondern auch Kenntnisse der QRM-Methoden und Erfahrungen in deren Anwendung. Umgekehrt können mangelndes Produkt- und Prozesswissen und mangelnde Methodenkompetenz zu subjektiven (Fehl-)Einschätzungen führen. Ein sinnvoller Einsatz von QRM ist nur dann gegeben, wenn alle Beteiligten sich dieser Problematik bewusst sind und gemeinsam eine Minimierung der Subjektivität anstreben.

 
Martin Mayer

Autor

Martin Mayer
Vice President und Leiter des Competence Center Manufacturing Quality, Fresenius Kabi Deutschland GmbH
E-Mail: martin.mayer@fresenius-kabi.com

 
Der GMP-BERATER

Der GMP-BERATER


Die weltweit größte Wissenssammlung im Bereich der Good Manufacturing Practice!

Der GMP-BERATER verbindet die permanent aktualisierten Vorschriften der globalen Regelwerke mit Handlungsanweisungen zur sofortigen Umsetzung in Ihrem Betrieb.

Lernen Sie hier den GMP-BERATER kostenlos und unverbindlich kennen.


> Mehr Informationen und Bestellung
 

Folgende Beiträge könnten Sie auch interessieren

 

Kommentare


Schreiben Sie einen Kommentar zu diesem Leitartikel.

> Zögern Sie nicht, wir freuen uns auf Ihr Feedback!