01.09.2019

Frage zum Thema Haltbarkeitsverlängerung bei Arzneimitteln

Frage zum Thema Haltbarkeitsverlängerung bei Arzneimitteln

Eine Inspektorin klärt den Sachverhalt und verweist zunächst auf die klar definierten Unterschiede:

  • Wirkstoffe: Stoffe, die bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet werden oder bei der Herstellung zu solchen werden (§ 4 Abs. 19 AMG)
  • Arzneimittel: Stoffe und Zubereitungen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung von Krankheiten bestimmt sind. (§ 2 AMG)
  • Hilfsstoffe: Alle Bestandteile eines Arzneimittels, mit Ausnahme des Wirkstoffes oder des Verpackungsmaterials. (§ 2 Abs. 1 AMG)

Vereinfacht lässt sich die Kombination der genannten Definitionen wie folgt darstellen:

Wirkstoff + Hilfsstoff(e) = Arzneimittel

Arzneimittel + Verpackungsmaterial = Fertigarzneimittel (vgl. Definition in § 4 Abs. 1 AMG

Aufgrund dieser Definition und des im EU-GMP-Leitfaden Teil II unter Ziffer 1.2 beschriebenen Geltungsbereichs sind die Vorgaben ausschließlich auf Wirkstoffe und nicht auf Arzneimittel anwendbar. Somit darf das unter Ziffer 11.6 beschriebene Vorgehen zur Festlegung von Verfalls- und Wiederholungsprüfungen für Wirkstoffe durchgeführt werden. Für Arzneimittel gilt dies jedoch nicht. Wie unter Ziffer 11.6.1 festgelegt, erfolgt die Festlegung von Verfallsdaten und Daten zur Wiederholungsprüfung (Retest) für Wirkstoffe auf Basis der in Abschnitt 11.5 erläuterten Stabilitätsprüfungen. 


Vorzulegende Unterlagen zur Zulassung eines Arzneimittels

Für Arzneimittel gilt ausschließlich der EU-GMP-Leitfaden Teil I. Es gibt auch keine Verweise in Teil I auf die entsprechenden Teile des EU-GMP-Leitfadens Teil II. Für Fertigarzneimittel bedarf es nach § 21 AMG einer Zulassung zum Inverkehrbringen. Mit dem Antrag auf Zulassung sind der Bundesoberbehörde (BfArM oder PEI) Dokumente zur Dauer der Haltbarkeit, Art der Aufbewahrung und Ergebnisse der Haltbarkeitsversuche vorzulegen (§ 22 AMG Abs. 1 Nr. 14). Im Zulassungsantrag müssen Arzneimittelhersteller eine Haltbarkeitsdauer angeben, woraus das anzugebende Verfallsdatum ermittelt wird. Die Haltbarkeitsdauer gibt an, wie lange die Arzneimittelspezifikation eingehalten wird. Die Stabilitätsdaten müssen gemäß den Qualitätsrichtlinien der ICH erhoben sein. Darin ist auch die Haltbarkeitsdauer eines Arzneimittels festgelegt. Auf Basis der mit dem Antrag eingereichten Dokumente wird die Zulassung für ein Arzneimittel durch die Zulassungsbehörde erteilt.
Die Arzneimittel werden auf Basis der Zulassungsunterlagen für das Inverkehrbringen von der GP freigegeben (§ 16 AMWHV i. V. m. EU-GMP Annex 16).


Wirkstoff vs. Arzneimittel – Unterschiede in den Kennzeichnungsanforderungen

Anforderungen zur Kennzeichnung zugelassener Arzneimittel finden sich in § 10 AMG. Demnach sind diese mit dem Verfallsdatum und dem Hinweis „verwendbar bis“ zu kennzeichnen (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 AMG). Schon die Wortwahl – für Wirkstoffe "Verfalls-, Retest- resp. Wiederholungsprüfungsdaten", dagegen bei Arzneimitteln "Haltbarkeitsdauer, verwendbar bis“ – zeigt, dass es sich hier um Daten mit unterschiedlicher Bedeutung handelt. Die Arzneimittel müssen also sowohl in der Zusammensetzung, im Herstellungs- und Prüfprozess als auch hinsichtlich Verpackungsmaterial und Kennzeichnung den Vorgaben des aktuellen Zulassungsbescheides entsprechen.


Verfallsdatum und bedenkliche Arzneimittel

Der Gesetzgeber verbietet in § 8 Abs. 3 klar, Arzneimittel mit abgelaufenem Verfallsdatum in Verkehr zu bringen. Ein Verstoß wird gemäß § 97 AMG zumindest als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Arzneimittel, deren Verfallsdatum abgelaufen ist, lassen sich allerdings als bedenklich im Sinne von § 5 Abs. 2 AMG einstufen. Gemäß § 5 Abs. 1 AMG ist das Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel ebenfalls verboten. Ein Verstoß wird gemäß § 95 AMG als Straftat eingestuft. Außerdem würde das auch den Rückruf der als bedenklich eingestuften Arzneimittel nach sich ziehen. 


Änderungsantrag statt Retest

In den Regularien finden sich keine Aussagen zur Verlängerung der Haltbarkeitsdauer eines Arzneimittels aufgrund eines Retests. Vielmehr muss der pharmazeutische Unternehmer einen Änderungsantrag bei der Zulassungsbehörde einreichen, wenn er die in der Zulassung genehmigte Haltbarkeitsdauer verlängern möchte (vgl.  § 29 AMG). Der Antrag ist um die entsprechenden Dokumente über die Stabilitätsdaten zur neuen Haltbarkeitszeit zu ergänzen. Ist die Änderung des Zulassungsbescheides genehmigt, kann die neue Haltbarkeit bei der Kennzeichnung der dann hergestellten Arzneimittel verwendet werden. 


Zusammenfassend ist zu sagen, dass es vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist, bei der Verlängerung der Haltbarkeitsdauer von Arzneimitteln gleich vorzugehen wie bei Wirkstoffen. Die Vorgehensweisen bei Arzneimitteln sind in den Regularien klar von denen für Wirkstoffe abgegrenzt. Das Ziel ist die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit und damit des umfassenden Patientenschutzes.

Ein Jurist würde sagen: Die Volksgesundheit ist ein im höchsten Maße schützenswertes Gut, dem andere Interessen, also auch betriebswirtschaftliche, unterzuordnen sind.