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30 Jahre GMP – ein persönlicher Blick auf Good Manufacturing Practice

30 Jahre GMP – ein persönlicher Blick auf Good Manufacturing Practice

10 Min. Lesezeit | von Thomas Peither
Erschienen im LOGFILE 5/2024

1994 habe ich als Berater die ersten GMP-Projekte bearbeitet, da steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Eine offizielle Kopie des 21 CFR 210/211 zu bekommen war mehr als mühsam. Dazu musste man einen schriftlichen Auftrag in die USA senden. Nach Wochen kam dann per Post eine kaum leserliche Kopie.

So lernte ich sie kennen – die Good Manufacturing Practices. Als junger Diplomingenieur für Maschinenbau sammelte ich erste Erfahrungen im Qualitätsmanagement der Maschinenbauindustrie. Ich hatte ein Bild von höchsten Qualitätsstandards im Kopf. Wie ist das in der Pharmaindustrie, wie sind hier die Standards? Ich bemerkte schnell, dass die ISO-Richtlinien im Maschinenbau in einigen Dingen den GMPs voraus waren.

Die Qualität der Arzneimittel wurde erreicht! Aus heutiger Sicht nicht aufgrund von Arbeitsanweisungen, sondern trotz Arbeitsanweisungen. Die Basis des Erfolgs waren rückblickend – aus meiner Sicht – engagierte und erfahrene Mitarbeitende.

Ich wurde von meinen damaligen Chefs ins kalte „Pharma“-Wasser geworfen. Dass ich mit meiner Erfahrung aus dem Maschinenbau den Kunden in einigen Punkten voraus war, ahnte ich zu dieser Zeit noch nicht.

Mein persönlicher Blick spiegelt Erfahrungen wieder, die ich bei unzähligen Unternehmensbesuchen sammeln durfte. Die Unternehmen haben mir immer ihr volles Vertrauen geschenkt und offen über ihre Probleme gesprochen. Denn als Unternehmensberater kommt man nicht bei Schönwetter, sondern bei Sturm und Unwetter an Bord.

Kleine, mittlere, große und globale Unternehmen waren unter den Kunden, und ich bin sehr dankbar, dass ich einen so tiefen Einblick in eine doch eher als verschlossen geltende Branche bekommen habe und noch immer bekomme.

Viele meiner Weggefährt*innen bezeichnen mich als Optimisten, und aus meiner Sicht ist das auch eine gute Voraussetzung für Unternehmertum. Als Optimist wird man häufig enttäuscht, und das ist gut so!


Ent-Täuschungen sind positiv

Ist die Täuschung einmal beiseitegeschoben, sieht man die Realitäten mit ungetrübtem Blick. Mit Vor-Stellungen, die man über die Zeit entwickelt, übrigens eine besondere Form der Betriebsblindheit, täuscht man sich selbst. Daher sind Ent-Täuschungen für Optimisten der Schlüssel, die Realität zu sehen. Ähnlich ist es bei Pessimisten mit Überraschungen – das sind keine Zufälle, wie viele denken, sondern ebenso Ergebnisse von Realitäten. Jeder Mensch kann entscheiden, ob er solche Erkenntnisse zulässt oder nicht.

Was hat das alles mit GMP zu tun? GMP ist die Good Manufacturing Practice oder Gute Herstellungspraxis. Warum ist die Herstellungspraxis gut und nicht besser – sollten wir nicht eine Better oder Best Manufacturing Practice anstreben?


Was ist die Besonderheit von GMP?

Bleiben wir zunächst bei dem Vergleich zwischen Maschinenbau und Pharmaindustrie. Unternehmen sollten zufrieden sein, wenn alles gut ist. Andere Branchen haben das Bestreben, Prozesse besser zu machen, z. B. durch kontinuierliche Verbesserungsprozesse. Dort kommen die Anforderungen jedoch von Kunden, die bereit sind, für bessere Produkte mehr zu bezahlen. Die Verbesserung ist an monetäre Ziele geknüpft. Kein Hersteller von Arzneimitteln bekommt aber mehr bezahlt, wenn an der Maschine ein weiterer Sensor installiert wird.

Ich musste als Maschinenbau-Ingenieur zunächst lernen, dass man ein Arzneimittel bzw. die dazu gehörigen Herstellungsprozesse nicht schnell verbessert. Entscheidend für die GMP-Konformität ist die Erfüllung der Arzneibücher, sprich Pharmakopöen, und der Angaben in den Zulassungsunterlagen. Und da gibt es nicht verschiedene Qualitätsstufen, sondern nur die Qualität, die erreicht werden muss.


Pflicht und Kür

Die Erfüllung von beschriebenen Anforderungen ist die Pflicht, und dies ist schwierig genug. Sie wird noch unüberwindbarer, wenn interne Richtlinien die Hürden noch höher legen. Bei vielen Beratungsprojekten ging es darum, die Vorgaben den Realitäten anzupassen.

Mit dieser Wahrnehmung war es naheliegend, den GMP-BERATER seinerzeit so auszurichten, dass Autorinnen und Autoren die Mindestanforderungen beschreiben. Die Aufgabe der Redaktion war es, die Beschreibung von spezifischen Unternehmensprozessen von "Sonderlocken" zu entschlacken. Und so ist es heute noch. Mehr kann jeder machen; das Unnötige wegzulassen, ist hingegen schwer. Michelangelo wird ein Zitat zugeschrieben, wie er perfekte Skulpturen schuf:

„In jedem Marmorblock sehe ich eine Statue so klar, als ob sie vor mir stünde, geformt und perfekt in ihrer Haltung und Handlung. Ich muss nur die groben Mauern wegschlagen, die die schöne Erscheinung einsperren, um sie den anderen zu zeigen, wie meine Augen sie sehen.“

Qualitätsmanagement ist häufig auch so. Es gilt, die Prozesse zu eliminieren, die der Qualität hinderlich sind. Neue Prozesse sollten nur dort etabliert werden, wo diese wirklich notwendig sind. Jedes Beratungsprojekt und jeder Fachartikel bewegt sich zwischen den beiden Leitplanken: Nötiges präzise formulieren und Unnötiges weglassen!

Und das ist eine Daueraufgabe wie das Aufräumen in der Garage. Wenn ich das nicht von Zeit zu Zeit tue, sammelt sich Sperrmüll, und ich schaffe Lebensräume für unliebsame Bewohner.


Was hat sich in den letzten 30 Jahren geändert, und was erwarte ich in der Zukunft?

Eine Einschätzung nehme ich vorweg: Ich blicke mit viel Zuversicht auf die Good Manufacturing Practice. Die letzten 30 Jahre waren alles andere als langweilig für GMP-Interessierte.

Ich liste die wichtigsten Schlagwörter auf, die meinen beruflichen Weg pflasterten:

  • Anlagenqualifizierung
  • Prozessvalidierung
  • Computersystemvalidierung
  • GMP für Wirkstoffe
  • Risikoanalyse – später Risikomanagement
  • Process Analytical Technology (PAT)
  • Electronic Records & Signature
  • Lean Management
  • Six Sigma
  • Good Distribution Practice
  • Continuous Improvement Process
  • Continued Process Verification
  • Prozessorientierung
  • GMP für Kombinationsprodukte
  • Qualitätskultur
  • ATMPs
  • Contamination Control Strategy (CCS)

Manches davon blieb, anderes wanderte ins Archiv und schlummert noch heute dort.

Was mir immer wichtig war und aus meiner Sicht noch bedeutender wird, sind die Menschen in diesen Prozessen. Auf die Mitarbeitenden würde ich auch in Zukunft den Schwerpunkt legen. Mir kommen Aspekte in den Sinn, die nicht nur im Qualitätsmanagement schnell zu kurz kommen:

  • Vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden
  • Begeisterung für Prozesse, Produkte und People
  • Mut zur Interpretation, zwischen den Zeilen zu lesen
  • Wertschätzung der Menschen in Qualitäts-Funktionen wie QA/QS/QC
  • Qualitätskultur leben, demonstrieren und einfordern
  • Risiken managen und nicht nur bewerten
  • Methodenkenntnis der Mitarbeitenden verbessern
  • Tägliches ringen um gute, schlanke Lösungen
  • Prozess- und Kundenorientierung bei jeder Aufgabe
  • Verständliches Schreiben beim Erstellen von SOPs und Dokumenten
  • Gesamtheitlich auf die Prozesse blicken

Zu jedem dieser Punkte wurden Bücher geschrieben, und oft verstauben diese im Bücherregal. Es würde sich lohnen, sie abzustauben und deren Inhalte mit Leben zu füllen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Erfolgssucher in den Organisationen benötigen. Wir haben zu viele Misserfolgsvermeider in unseren Reihen. Sie tragen ihre Bedenken auf großen Tabletts vor sich her und bringen selten etwas voran. Wir brauchen Zuversicht und vorausschauende Menschen, die sowohl die Details der Prozesselemente verstehen und zugleich die holistische Sichtweise vertreten.

Vielleicht werden Sie sich nun fragen, warum ich zuversichtlich in die Zukunft blicke?

Ich bekam vor 30 Jahren die Chance, mich in einem Aufgabenfeld zu beweisen, von dem ich wenig Ahnung hatte. Das war mutig von meinen Arbeitgebern und meinen Kunden – für alle hat es sich gelohnt. Wer versucht, alles abzusichern, und nicht bereit ist, Risiken einzugehen, wird keine Fortschritte erzielen. Und denjenigen Menschen, die behaupten, es hätte sich nichts verbessert, entgegne ich: "Sieh dir die Liste oben noch einmal genau an." All diese Qualitätsprozesse/-elemente gab es vor 30 Jahren noch nicht oder höchstens rudimentär. Viele davon haben GMP wirklich weiterentwickelt und verbessert.

Die kommende Generation an Fachexperten und Fachexpertinnen wird viel mehr Technologie, Automatisierung, Machine Learning und irgendwann Künstliche Intelligenz einsetzen, um Qualitätsziele zu erreichen und zu gewährleisten. Die Herausforderung, die Menschen als Ausgangspunkt für Organisationen zu sehen, bleibt, auch wenn wir Arbeiten an Computer abgeben. Und hier bin ich zuversichtlich. Die Generationen X, Y und Z haben andere Prioritäten als die Generation der Babyboomer, zu der ich gehöre. Der Generation unserer Kinder gehört die Zukunft. Bei ihnen beobachte ich höchste Professionalität, Leistungsbereitschaft und ein Interesse an der Zufriedenheit von Mitmenschen.


Fazit

Es ist sinnvoll, dass es GMP-Regularien gibt, denn sie sind für die Arbeit unerlässlich. Die globale GMP-Harmonisierung ist eine Erfolgsgeschichte, die hoffentlich weiterhin einen guten Verlauf nimmt. Da dieser Prozess im Fluss ist, ist es wichtig, die Regularien zu kennen und mit Augenmaß anzuwenden.

Wenn ich einen ungefragten Rat geben darf, dann diesen: „Alle, die mit der Gestaltung von GMP-Prozessen betraut sind, sollten die zugehörigen Regelwerke kennen und interpretieren lernen. Je länger ich Texte gelesen habe, um so mehr fielen die Lücken auf. Zwischen den Zeilen steht oft mehr, als durch die Druckerschwärze der Buchstaben zu erkennen ist. Hier liegt der Schlüssel zu einem schlanken GMP-System.“
Der GMP-BERATER und die vielen anderen Publikationen des GMP-Verlags wurden mit der Idee erstellt, den Lesenden das Leben leichter zu machen. Viele Schritte kann der Verlag auch in Zukunft übernehmen. In den über 20 Jahren Beratungstätigkeit erkannte ich, dass die individuelle Anpassung ans firmenspezifische Qualitäts-Management-System die Aufgabe unser Leserinnen und Leser ist und voraussichtlich auch noch einige Zeit bleibt.

Ich bin dankbar, dass ich mit vielen Menschen gemeinsam und zum Wohle der Patientinnen und Patienten viele GMP-Systeme weiterentwickeln konnte. Es war mir immer ein Bedürfnis, den Menschen die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Good Manufacturing Practice zu vermitteln – das versuche ich auch mit der Webcast-Reihe GMP & TEA. Der Mensch ist in der Lage, gesamtheitlich die GMPs weiterzuentwickeln und zu verbessern. Nach 30 Jahren kann ich nicht einfach so loslassen und werde sicherlich noch einige Zeit die Entwicklungen verfolgen. Ich freue mich schon darauf, welche Themen demnächst vor der Tür stehen.


Haben Sie Fragen oder Anregungen? Bitte schreiben Sie uns: redaktion@gmp-verlag.de

Thomas Peither
Thomas Peither

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