07.07.2020 | LOGFILE Leitartikel 27/2020

Gekürzter und bearbeiteter Auszug aus dem GMP-BERATER, Kapitel 20.A Einleitung zu „GMP für Wirkstoffe“

Zwei Paar Stiefel: GMP für Wirkstoffe und GMP für Arzneimittel

5 Minuten Lesezeit | von Dr. Rainer Gnibl

 

Einige wesentliche Unterschiede zwischen dem EU-GMP-Leitfaden Teil I (GMP für Arzneimittel) und dem Teil II (GMP für Wirkstoffe) sind:

Zielsetzung und Geltungsbereich

Der erste Unterschied ergibt sich schon aus dem Anwendungs- bzw. Geltungsbereich der beiden GMP-Regelwerke. Während der EU-GMP-Leitfaden Teil I eindeutig ab dem ersten Schritt der Arzneimittelherstellung vollumfänglich zur Anwendung kommt, sind die Vorgaben für die Anwendbarkeit des EU-GMP-Leitfadens Teil II auf die Wirkstoffproduktion nicht immer eindeutig.

Die Frage, ab wann die Anforderungen des EU-GMP-Leitfadens auf die unterschiedlichen Prozessschritte bei der Wirkstoffherstellung anwendbar sind, richtet sich nach der Art des Wirkstoffs bzw. des Herstellungsverfahrens. Eine detaillierte Übersicht findet man in der Einleitung des EU-GMP-Leitfadens Teil II.

Qualitätsmanagement

Die sogenannte Qualitäts(sicherungs)einheit (Quality Unit) gemäß EU-GMP-Leitfaden Teil II, welche produktionsunabhängig ist, hat einen erweiterten Verantwortungsbereich: Sie ist auch für die Qualitätskontrolle der produzierten Zwischenprodukte und Wirkstoffe verantwortlich. Die aus dem Arzneimittelbereich bekannte klassische Dreiteilung in Qualitätssicherung, Produktion und Qualitätskontrolle ist hier also aufgehoben. Es wird lediglich zwischen Verantwortungen der Qualitäts(sicherungs)einheit und der Verantwortung für Produktionsaktivitäten unterschieden.

Auch der Schritt der Freigabe zum Inverkehrbringen von Wirkstoffen und Zwischenprodukten ist in der Qualitäts(sicherungs)einheit anzusiedeln. Im Gegensatz zu Arzneimitteln darf die Freigabe nicht nur durch Sachkundige Personen gem. § 15 AMG bzw. EU-GMP-Leitfaden Teil I Kapitel 2.6 erfolgen, sondern auch von benannten, berechtigten Personen vollzogen werden.

Wasserqualität

Bei der Wirkstoffherstellung muss das Prozesswasser mindestens den Anforderungen der WHO an Trinkwasserqualität entsprechen. Hier liegt die Mindestanforderung also nicht – wie für die Arzneimittelherstellung gefordert – in der Spezifikation des Europäischen Arzneibuchs für Gereinigtes Wasser (Aqua Purificata). Sollten die WHO-Anforderungen für Trinkwasser allerdings nicht ausreichend erscheinen, so sind vom Wirkstoffhersteller strengere Spezifikationen festzulegen für

  • die physikalischen und chemischen Eigenschaften,
  • die Gesamtkeimzahl,
  • unzulässige Organismen und/oder
  • Endotoxine.

Wenn ein nicht steriler Wirkstoff für sterile Arzneimittel eingesetzt werden soll, so ist für die abschließenden Isolierungs- und Aufreinigungsschritte Wasser einzusetzen, welches überwacht und auf seine Gesamtkeimzahl, unzulässige Organismen sowie Endotoxine kontrolliert wird.

Containment

Mit der Änderung der Kapitel 3 und 5 des EU-GMP-Leitfadens Teil I ergibt sich ein weiterer Unterschied zur Arzneimittelherstellung: Die Entscheidungsgrundlage zur Festlegung, ob in „dedicated facilities“ produziert werden muss, oder ob in „shared facilities“ produziert werden kann, ist jetzt für den Arzneimittelbereich deutlich detaillierter geregelt. Dies gilt auch für die Festlegung von technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Vermeidung von Kreuzkontaminationen, wenn in „shared facilities“ produziert wird.

In diesem Zusammenhang ist auch die Berechnung des Akzeptanzkriteriums zur Reinigungsvalidierung zu nennen: Im Wirkstoffbereich ist gemäß dem ICH Q&A-Papier zum ICH Q7 auch eine alternative Berechnungsgrundlage für den „Maximum Allowable Carryover“ (MACO) mittels „Occupational Exposure Limit“ (OEL) zulässig, wohingegen für den Arzneimittelbereich nur die „Permitted Daily Exposure“ (PDE) akzeptiert wird.

Inprozesskontrollen

Für die Wirkstoffproduktion ist im Vergleich zur Arzneimittelproduktion eindeutig festgelegt, dass Untersuchungen zu Testergebnissen außerhalb der Spezifikation (OOS) normalerweise nicht für Inprozesskontrollen (IPC) gemäß dem Master Batch Record erforderlich sind, die zum Zwecke der Prozessüberwachung und -anpassung erfolgen.

Mischen von Chargen

Das Mischen (Verschneiden) von Chargen ist eine Besonderheit bei der Wirkstoffherstellung. Im EU-GMP-Leitfaden Teil II wird Mischen als ein Prozess definiert, bei dem Materialien innerhalb der gleichen Spezifikation mit dem Ziel kombiniert werden, ein homogenes Zwischenprodukt oder einen homogenen Wirkstoff herzustellen.
Im Unterschied dazu handelt es sich beim Vereinigen von Teilen einer Charge oder der Kombination von Fraktionen aus mehreren Chargen für die weitere Verarbeitung um einen Teil des Produktionsprozesses.
Beim Mischen muss jede einzelne Charge der Spezifikation entsprechen und daraufhin untersucht worden sein. Das Mischen kann somit zum Beispiel der Ausweitung der Chargengröße dienen oder um Nachläufe (d.h. relativ kleine Mengen isolierten Materials) aus Chargen desselben Zwischenprodukts oder Wirkstoffs zu einer einzigen Charge zu vereinigen.
Für Mischungen gelten zahlreiche Anforderungen, die in Kapitel 8.4 beschrieben werden.

Verunreinigungsprofil

Als wesentliches Qualitätscharakteristikum für Zwischenprodukte und Wirkstoffe ist das Verunreinigungsprofil anzusehen. Für jeden Wirkstoff sollte normalerweise ein Verunreinigungsprofil erstellt werden, das die vorhandenen identifizierten und nicht identifizierten Verunreinigungen in einer typischen, mit einem bestimmten kontrollierten Produktionsprozess hergestellten Charge beschreibt. Es sollte die Identität oder eine qualitativ-analytische Kennzeichnung (z.B. Retentionszeit), den Bereich jeder beobachteten Verunreinigung und eine Klassifizierung jeder identifizierten Verunreinigung (z.B. anorganisch, organisch, Lösungsmittel) beinhalten.
Das Verunreinigungsprofil hängt normalerweise vom jeweiligen Herstellungsprozess ab und ist somit in gewisser Weise charakteristisch für den Hersteller und damit auch für die Herkunft des Wirkstoffs. Es sollte in geeigneten Abständen mit dem Verunreinigungsprofil im Zulassungsantrag oder mit zurückliegenden Daten verglichen werden, um Veränderungen am Wirkstoff, die aus Modifikationen der Ausgangsmaterialien, der Geräteparameter oder des Produktionsprozesses resultieren, festzustellen. Das zulässige Verunreinigungsprofil ist dem aktuellen Wissensstand zum Herstellungsprozess anzupassen. Verunreinigungsprofile sind für Wirkstoffe pflanzlichen Ursprungs oder aus tierischem Gewebe im Normalfall nicht erforderlich.

Analysenzertifikat

Folglich ist das Verunreinigungsprofil Bestandteil des Analysenzertifikates (Certificate of Analysis, COA), welches insgesamt die Qualität des Zwischenproduktes oder Wirkstoffes belegt. Das Analysenzertifikat ist von einer dazu autorisierten Person der Qualitäts(sicherungs)einheit zu unterschreiben und hat den Originalhersteller auszuweisen. So ist auch bei Unternehmen, die umverpacken oder aufarbeiten, jederzeit der ursprüngliche Hersteller des Produktes ersichtlich. Wurden aufgrund einer erneuten Prüfung neue Analysenzertifikate ausgestellt, ist auch das Labor auf dem Analysenzertifikat anzugeben. Das ursprüngliche Analysenzertifikat sollte dem neuen Analysenzertifikat beigefügt sein.

Wiederholungsprüfungsdatum

Im Gegensatz zu Arzneimitteln wird für Wirkstoffe meist kein Verfallsdatum, sondern ein Wiederholungsprüfungsdatum (Retestdatum) vergeben, das auf den Ergebnissen der Stabilitätsprüfungen basiert. Eine erfolgreiche Wiederholungsprüfung nach Ablauf des initial deklarierten Retestdatums berechtigt jedoch nur zum unmittelbaren Einsatz der Charge in der Arzneimittelproduktion und ausdrücklich nicht dazu, das Retestdatum um den initialen Validitätszeitraum zu verlängern. Auch ein Reprocessing zur Verlängerung des Retestdatums oder zur Festlegung eines neuen Herstellungsdatums nach erfolgter Chargenfreigabe ist nicht GMP-konform und damit nicht zulässig.

Zurückweisung und Wiederverwendung

Wirkstoffspezifisch sind die Vorgaben zur Aufarbeitung und Umarbeitung von Zwischenprodukten oder Wirkstoffen, die der gestellten Spezifikation nicht entsprechen.

Aufarbeitung (Reprocessing)

Handelt es sich nur um die Wiederholung eines Prozessschrittes, welcher Teil des Routineprozesses und somit des Master Batch Records ist, so spricht man von Aufarbeitung. Beispiele für Aufarbeitungen sind eine erneute Kristallisation, Destillation, Filtration, chromatographische Trennung oder das erneute Vermahlen.
Ebenfalls als Aufarbeitung wird die Wiedereinführung von nicht umgesetztem Material oder die Wiederholung eines chemischen Syntheseschrittes bezeichnet, sofern sie nicht Bestandteil des im Master Batch Record festgelegten Routineprozesses sind. Hierzu ist aber vor dem Hintergrund von Qualitätsbeeinflussungen prospektiv eine sorgfältige Bewertung bezüglich der Bildung von Nebenprodukten oder überreagierendem Material durchzuführen und zu dokumentieren. Keine Aufarbeitung ist allerdings das Fortführen eines Prozessschrittes, wenn die Inprozesskontrolle gezeigt hat, dass der gewünschte Endpunkt noch nicht erreicht ist.
Aufarbeitungen sind grundsätzlich zulässig, sollten aber in den Master Batch Record aufgenommen werden, falls diese regelmäßig zur Anwendung kommen.

Umarbeitung (Reworking)

Wird das nicht der Spezifikation entsprechende Material einem neuen Prozessschritt unterzogen, welcher nicht Teil des Routineherstellungsprozesses und damit des Master Batch Records ist, so spricht man von einer Umarbeitung. Diese ist mit einem entsprechenden Bericht zu dokumentieren, angemessen zu bewerten und mit zusätzlichen Prüfungen und Stabilitätsmustern zu versehen, um die Gleichwertigkeit der Qualität mit dem Routineprozess zu gewährleisten. Auch ein Vergleich der Verunreinigungsprofile von umgearbeitetem und Routineprodukt ist zu berücksichtigen. Eine begleitende Validierung wird für Umarbeitungen empfohlen. Die Ursache für die Abweichung von der Spezifikation ist ebenfalls zu untersuchen, bevor eine Umarbeitung eingeleitet wird.

Rückgewinnung (Recovery)

Auch die Rückgewinnung von Reaktanden, Zwischenprodukten, Wirkstoffen oder Lösungsmitteln ist unter definierten Voraussetzungen zulässig und wohl eher spezifisch für die Wirkstoffproduktion als für die Arzneimittelherstellung.


Dieser Text ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus dem GMP-BERATER, Kapitel 20.A Einleitung zu „GMP für Wirkstoffe“.

 
Rainer Gnibl

Autor

Dr. Rainer Gnibl
GMP-Inspektor der Regierung von Oberbayern
E-Mail: rainer.gnibl@reg-ob.bayern.de

 
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