15.04.2025 | LOGFILE Leitartikel 08/2025


Künstliche Intelligenz in der Pharmabranche: Ein Füllhorn an Möglichkeiten

Künstliche Intelligenz in der Pharmabranche: Ein Füllhorn an Möglichkeiten

7 Min. Lesezeit | von Azade Pütz

Was ist Künstliche Intelligenz in der Pharmabranche?

Künstliche Intelligenz (KI) transformiert zunehmend auch die pharmazeutische Industrie, indem sie innovative Lösungen für komplexe Herausforderungen bietet. Im Kontext der Guten Herstellungspraxis (GMP) verspricht KI, Produktionsabläufe zu optimieren, die Qualitätskontrolle zu verfeinern und die regulatorische Compliance zu erleichtern. KI-Systeme punkten dabei durch ihre Fähigkeit, aus großen Datenmengen zu lernen, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen, die über die Möglichkeiten herkömmlicher computergestützter Systeme hinausgehen.

Die Integration von KI in pharmazeutische Prozesse basiert auf verschiedenen Technologien:

  • Maschinelles Lernen:
    Algorithmen, die aus Daten lernen und ihre Leistung im Laufe der Zeit verbessern.
  • Deep Learning:
    Ein Teilbereich des maschinellen Lernens, der komplexe neuronale Netzwerke nutzt, um hochdimensionale Daten zu verarbeiten.
  • Natürliche Sprachverarbeitung:
    Technologien, die es Computern ermöglichen, menschliche Sprache zu verstehen, zu interpretieren und zu generieren.

Diese Technologien eröffnen neue Möglichkeiten in der Arzneimittelentwicklung, -herstellung und -überwachung. Sie versprechen, die Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und letztendlich die Patientensicherheit zu verbessern.


Welche Kategorien von KI-Anwendungen gibt es im GMP-Umfeld?

Prozessoptimierung und Qualitätskontrolle:

KI-Systeme in diesem Bereich zielen darauf ab, Produktionsprozesse zu optimieren und die Qualitätskontrolle zu verbessern. Durch die Analyse großer Datenmengen aus Produktionslinien können diese Systeme potenzielle Abweichungen frühzeitig erkennen, Prozessparameter in Echtzeit anpassen und die Produktqualität kontinuierlich überwachen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Einsatz bereits verfügbarer KI-Anwendungen firmenspezifisch noch sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Während einige Unternehmen bereits fortschrittliche KI-Lösungen in ihre Produktionsprozesse integriert haben, befinden sich andere noch in frühen Phasen der Implementierung oder Evaluierung. Diese Varianz in der Adoption spiegelt unterschiedliche Faktoren wieder, wie die Unternehmensgröße, verfügbare Ressourcen, regulatorische Überlegungen und die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Produktionsumgebungen.

Anwendungsbeispiele:

a) Visuelle Inspektion: KI-gestützte Bildanalysesysteme werden in der pharmazeutischen Produktion eingesetzt, um visuelle Inspektionen von Arzneimitteln durchzuführen. Diese Systeme nutzen fortschrittliche Computer-Vision-Technologien, um kleinste Abweichungen zu erkennen, die dem menschlichen Auge möglicherweise entgehen. Sie prüfen beispielsweise Tabletten auf Formabweichungen, Verfärbungen oder Verunreinigungen.

b) Prozessanalytische Technologie (PAT): KI wird bereits in PAT-Systeme integriert, um Echtzeitdaten aus dem Herstellungsprozess zu analysieren. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung von Prozessparametern, um eine konsistente Produktqualität zu gewährleisten.

c) Chargenfreigabe: KI-Algorithmen könnten in Zukunft große Mengen an Chargenprotokolldaten analysieren, um Anomalien zu erkennen und die Entscheidungsfindung bei der Chargenfreigabe zu unterstützen. Dies könnte die Effizienz des Freigabeprozesses erhöhen und gleichzeitig das Risiko menschlicher Fehler reduzieren.


Predictive Maintenance:

Predictive Maintenance nutzt KI-Algorithmen, um den Zustand von Produktionsanlagen und -equipment vorherzusagen und zu überwachen. Durch die Analyse von Sensordaten und historischen Wartungsaufzeichnungen können diese Systeme potenzielle Ausfälle vorhersagen, bevor sie auftreten.

Potenzielle zukünftige Anwendungen:

a) Bioreaktoren-Überwachung: In Biopharma-Anlagen könnten KI-gestützte Predictive Maintenance-Systeme eingesetzt werden, um kritische Ausrüstung wie Bioreaktoren zu überwachen. Durch die kontinuierliche Analyse von Parametern wie Temperatur, pH-Wert, Sauerstoffgehalt und Nährstoffkonzentrationen könnten solche Systeme frühzeitig auf mögliche Probleme hinweisen. Dies könnte dazu beitragen, kostspielige Produktionsunterbrechungen zu vermeiden und die Produktqualität zu sichern.

b) Reinraumüberwachung: KI-Systeme könnten eingesetzt werden, um Umgebungsbedingungen in Reinräumen kontinuierlich zu überwachen. Durch die Analyse von Partikelmessungen, Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit könnten potenzielle Kontaminationsrisiken frühzeitig erkannt werden.

c) Wartungsplanung: KI-Algorithmen könnten historische Wartungsdaten und aktuelle Leistungsindikatoren analysieren, um optimale Wartungszeitpunkte für verschiedene Geräte und Anlagen vorherzusagen. Dies könnte zu einer Reduzierung ungeplanter Ausfallzeiten und einer Verlängerung der Lebensdauer von Produktionsanlagen führen.


Datenanalyse und Entscheidungsunterstützung:

KI-Systeme können bereits große Mengen an Produktions-, Qualitäts- und Compliance-Daten analysieren, um Trends zu erkennen, Risiken zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu unterstützen. Daraus ergeben sich wertvolle Anwendungsmöglichkeiten für das Qualitätsmanagement und die regulatorische Compliance.

Potenzielle zukünftige Anwendungen:

a) Dokumentenmanagement: Im Bereich des Dokumentenmanagements könnten KI-Systeme, die natürliche Sprachverarbeitung nutzen, eingesetzt werden, um GMP-relevante Dokumente zu analysieren und zu kategorisieren. Solche Systeme könnten theoretisch bei der Erkennung von Inkonsistenzen in Standard Operating Procedures (SOPs) helfen, regulatorische Änderungen mit bestehenden Dokumenten abgleichen und Aktualisierungsvorschläge generieren. Dies könnte den manuellen Überprüfungsaufwand erheblich reduzieren und die Genauigkeit der Dokumentenkontrolle verbessern.

b) Qualitätsmanagementsystem (QMS): KI könnte in QMS-Plattformen integriert werden, um Muster in Qualitätsereignissen, Abweichungen und Korrektur- und Präventivmaßnahmen (CAPA) zu identifizieren. Dies könnte zu proaktiveren und effektiveren Qualitätsmanagementstrategien führen.

c) Regulatorische Intelligenz: KI-Systeme könnten eingesetzt werden, um regulatorische Dokumente und Richtlinien zu analysieren und relevante Informationen für spezifische Produkte oder Prozesse zu extrahieren. Dies könnte Unternehmen dabei unterstützen, mit dem sich ständig ändernden regulatorischen Umfeld Schritt zu halten.


Automatisierung und Robotik:

KI-gesteuerte Roboter und automatisierte Systeme können bereits präzise und wiederholbare Aufgaben in GMP-Umgebungen ausführen. Diese Systeme haben das Potenzial, nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern auch das Kontaminationsrisiko in sterilen Produktionsumgebungen zu reduzieren.

Zukunftsperspektiven:

a) Zelltherapie-Produktion: In der Zelltherapie-Produktion könnten KI-gesteuerte Robotersysteme für die aseptische Handhabung von Zellkulturen entwickelt werden. Solche Systeme könnten theoretisch komplexe Manipulationen mit hoher Präzision durchführen und rund um die Uhr arbeiten. Dies könnte zu einer potenziellen Steigerung der Produktionskapazität bei gleichzeitiger Reduzierung des Kontaminationsrisikos führen.

b) Automatisierte Laborprozesse: KI könnte in Laborautomatisierungssysteme integriert werden, um komplexe Analyseprotokolle zu optimieren und durchzuführen. Dies könnte die Effizienz und Reproduzierbarkeit von Qualitätskontrolltests verbessern.

c) Intelligente Verpackung und Etikettierung: KI-gesteuerte Systeme könnten in Verpackungs- und Etikettierungslinien eingesetzt werden, um die Genauigkeit zu erhöhen und Fehler zu reduzieren. Diese Systeme könnten beispielsweise Barcodes und Seriennummern in Echtzeit verifizieren und so die Rückverfolgbarkeit von Arzneimitteln verbessern.


Herausforderungen und Ausblick:

Trotz des großen Potenzials von KI im GMP-Umfeld gibt es noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Dazu gehören:

  • Datenqualität und -integrität: KI-Systeme sind nur so gut wie die Daten, auf denen sie trainiert werden. Die Sicherstellung hochwertiger, repräsentativer Daten ist entscheidend.
  • Regulatorische Akzeptanz: Die Integration von KI in GMP-kritische Prozesse erfordert klare regulatorische Richtlinien und Validierungsansätze. Hier besteht noch Handlungsbedarf seitens der Behörden.
  • Transparenz und Erklärbarkeit: Insbesondere bei komplexen KI-Modellen kann es eine Herausforderung sein, Entscheidungsprozesse nachvollziehbar zu machen. Dies ist jedoch für die regulatorische Compliance unerlässlich.
  • Schulung und Change Management: Die erfolgreiche Implementierung von KI-Systemen erfordert geschultes Personal und eine Kultur der Offenheit gegenüber neuen Technologien. Hier sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung notwendig.

Fazit: Die Integration von KI in GMP-Prozesse bietet enorme Chancen für die pharmazeutische Industrie. Während einige Anwendungen bereits Realität sind, stehen zahlreiche vielversprechende Möglichkeiten noch am Anfang ihrer Entwicklung. Um das volle Potenzial von KI im GMP-Umfeld auszuschöpfen, müssen Unternehmen, Regulierungsbehörden und Technologieanbieter eng zusammenarbeiten. Die kontinuierliche Weiterentwicklung von KI-Technologien und deren Anpassung an die spezifischen Anforderungen der Pharmabranche werden in den kommenden Jahren zweifellos zu weiteren Innovationen und Verbesserungen in der Arzneimittelherstellung führen.

Lesen Sie im nächsten Logfile eine Analyse der aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen für KI im GMP-Umfeld, mit Fokus auf den EU AI Act, relevante ISO-Normen und das EMA Reflection Paper zu KI in der Arzneimittelentwicklung und -anwendung.

 
Azade Pütz

Autorin

Azade Pütz
Apothekerin & Qualified Person – AP Consulting
E-Mail: info@puetzconsulting.de

 
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